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Heiligenkult und Adelsherrschaft im Spiegel merowingischer Hagiographie
Author(s): Friedrich Prinz
Source: Historische Zeitschrift, Bd. 204, H. 3 (Jun., 1967), pp. 529-544
Published by: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH (and its subsidary Akademie Verlag
GmbH)
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/27614643
Accessed: 13/06/2010 13:39

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http://www.jstor.org
HEILIGENKULT  UND ADELSHERRSCHAFT
 IM SPIEGEL MEROWINGISCHER HAGIOGRAPHIE
                                                       VON

                                        FRIEDRICH               PRINZ

SEIT man aufgeh?rt hat, hagiographische            Texte   lediglich nach
 ihrem Gehalt an historischen Tatsachen       durchzumustern,      und seit
  ?bseinigerma?en   zuverl?ssig m?glich    ist, den zeitlichen Abstand
zwischen dem Helden einer Vita und seinem Biographen            zu bestim
men, ist die Hagiographie      in einem neuen Sinne Geschichtsquelle
?e worden, n?mlich Zeugnis f?r Geist und Gesellschaft           einer Zeit,
 in der wesentliche   Urspr?nge    abendl?ndischer    Geschichte     liegen.
Van     der    Essen,      Besse,      Babut,       Delehaye,          Levillain,       Marignan,          Gros
                          de Moreau, Gougaud, Riche haben im franz?
 jean, Aigrain, Griffe,
                          der Erkenntnis     vom Wert der Hagiographie
sischen Sprachraum
Bahn gebrochen1),       in Deutschland     schufen Heinrich G?nther und
C. A. Bernoulli mit ihren Studien zur Legende Grundlagen                 einer
psychologischen     Neuwertung        der Hagiographie2),       die dann von
Katharina Weber,        Georg Schreiber, Wilhelm         Levison, Bernhard
            H. L?we u. a. zur Erkenntnis       fr?hmittelalterlicher   Kultur
  JK?tting,
 lind Gesellschaft    ausgewertet     wurde3). Die sozialgeschichtlichen
Aspekte     der Vitenliteratur     sind neuerdings     umfassend     von dem

                                                                                 sur les vitae
 1) L. van       der  Essen,    ?tude     critique            et litt?raire                          des saints
                    de l'ancienne                                    ?                         Les moines          de
m?rovingiens                          Belgique              (1907).         J. M. Besse,
 l'ancienne                  in: Archives       de          la France                            II              ?
                 France,                                                    monastique                (1906).
                       Les                                                      ?     R. Aigrain,
H. Delehaye,                  l?gendes     hagiographiques            (41955).                           L'hagio
                Ses sources,        ses m?thodes,           son histoire                  ?     A. Marignan,
graphie.                                                                        (1953).
?tudes        sur la civilisation         fran?aise     II, in: Le culte de saints              sous les M?ro
                          ?     P. Grosjean,     Note                                           in: Anal. Boll.
vingiens        (1899).                                   d'hagiographie          celtique,
LXIII                      ?    E. Griffe, La Gaule           chr?tienne      ? l'?poque                    2 Bde.
             (1945fi.).                                                                       romaine,
                 ?      L. Gougaud,                                in Celtic    Lands                ?      E. de
  (1947/57).                                 Christianity                                   (1932).
Moreau,        Saint Amand,          ap?tre    de la Belgique         et du Nord        de la France        (1927).
                                                             ?              Die christliche                      des
 2)H.G?nther,            Legendenstudien            (1906).       Ders.,                           Legende
Abendlandes                      ?    C. A. Bernoulli,         Die Heiligen       der Merowinger
                        (1910).                                                                             (1900).
 3) K. Weber,         Kulturgeschichtliche             Probleme        der Merowingerzeit             im Spiegel
                                       in: STMBO          48              ?     G. Schreiber,          Irland      im
 fr?hma.       Heiligenleben,                                    (1930).
deutschen        und abendl?ndischen             Sakralraum          (1956). ?W.       Levison,     Aus rheini
scher   und     fr?nkischer     Fr?hzeit.     Ausgew?hlte                Aufs?tze     (1948) bes. Teil a)
 JHagiographisch.es.     ?B.       K?tting,    Peregrinatio               religiosa  (1950). ?H.    L?we,
Arbeo    von Freising,       Eine     Studie   z. Religiosit?t              und Bildung      im 8. Jh., in:
Rh. Vjbll.     15/16    (1950/51),     S. 87?120.

      Historische Zeitschrift 204. Band 35
530                                      Friedrich         Prinz



Prager Medi?visten      F. Graus und f?r die fr?he bayerische Hagio
graphie von K. Bosl in einer exemplarischen           Studie untersucht
worden4). Eine besonders in der deutschen Medi?vistik         entwickelte
Form der Auswertung        von Hagiographie   und Kultgeschichte    findet
 sich innerhalb der landeskundlichen     Forschung, und zwar als Hilfs
mittel   der Kulturraumforschung       und der Erhellung     von Kultur
str?mungen     in quellenarmer Zeit. Erinnert sei hier an die Arbeiten
von Eugen Ewig, Heinrich B?ttner, Marcel Beck, Helmut
                                                                 Weigel,
W.    Deinhardt,          Walter       Zimmermann                 und   an die                  zusammen
                                                                                 gro?en
 fassenden         kultgeographischen               Studien         von Matthias          Zender      im Zu
 sammenhang           mit     den                                         am Atlas        der    deutschen
                                     Auswertungsarbeiten
Volkskunde5).
      Kann man der Hagiographie                ihren Erkenntniswert       f?r das
Leben und Meinen breiter Volksschichten               nicht absprechen,      so
                                                                                 ist]
 er m. E. noch viel gr??er und einleuchtender            f?r die Erkenntnis     der!
 fr?hmittelalterlichen      Adelsgesellschaft.
      Voraussetzung       f?r Erkenntnisse     ?ber die merowingische      Adels
gesellschaft     ist nat?rlich die Begrenzung        der Quellen auf wirklich
merowingische,       wenn auch nicht zu ?bersehen          ist, da? ?berdies aus
 sp?teren, karolingischen       ?berarbeitungen,       wie etwa im Falle der
Eligiusvita,    bei vorsichtiger Pr?fung Merowingisches            ausgesondert
werden kann6). Der von Bruno Krusch drastisch reduzierte Bestand
echt merowingischer        Viten hat sich ?brigens in den Jahrzehnten der
Auseinandersetzung        mit der Krusch-Levison-Edition            betr?chtlich
vermehrt, dies gilt etwa f?r die Viten der Jurav?ter,                f?r^die Vita
Rusticulae,         die    Vita     Amandi,         u.a.m.7).
   Will man die Aussagekraft                          einer Vita richtig einsch?tzen, dann
mu? man bekanntlich    zuerst                        jene Elemente    ausscheiden,   die zur

 4) F.   Graus,     Herrscher     u. Heiliger      im Reich       der Mero winger,          Studien       z.
                   der Merowingerzeit                       ? K.                                        '?
Hagiographie                                  (
                                              Prag 1965).            Bosl, Der,, Adelsheilige'
 Idealtypus      und Wirklichkeit,       Gesellschaft       und Kultur         im merowingischen
            des 7. u. 8. Jh.s,      in: Speculum                     ?    Festschrift
Bayern                                                Historiale                            Joh. Sp?rl
  (1965), S. 167?187.
 5)M. Zender, R?ume          u. Schichten     ma. Heiligenverehrung             in ihrer Bedeutung
f. d. Volkskde.              ?            Atlas    d. deutschen
                     (1959).     Ders.,                              Volkskde.,       Erl?uterungen
 z. 1. Lieferung    Karte NF       1?12,    1959, daselbst       auch S. 213 ff. die weitere         Lit.
 6) SS rer. Merov.       IV, S. 634?761;          dazu Wattenbach-Levison,                Geschichts
quellen     I (1952), S. 127f.
 7) P. Riche,    Note   d'hagiographie      m?rovingienne:       La Vita     Rusticulae,     in:
Anal. Boll. LXXII                            ?
                         (1954), S. 369ff.        B. W. Hoogterp,       Les Vies des P?res
de Jura,    in: Bull, du Cange                             ?     F. Prinz,
                                    (1935), S. 129?251.                       Fr?hes M?nch
tum im Frankenreich.         Kultur    und Gesellschaft     in Gallien,    den Rheinlanden
und Bayern       am Beispiel     der monastischen       Entwicklung        (4.?8.         1965
                                                                                    Jh.),
(passim).
Heiligenkult             und     Adelsherrschaft                                              531


hagiographischen                   Tradition           und         ihrem Genre              geh?ren,            Elemente,
die    aber    darum           noch     nicht     wertlos             sind,     sondern         immer       noch                durch
die Art         ihrer Verwendung                    mittelbare                  Aufschl?sse             von Wert                       er
                    Im                           wird       man
 lauben8).                allgemeinen                                     sagen       k?nnen,           je st?rker                   eine
Vita    vom                                                                         Rahmen          abweicht,                   um      so
                 vorgegebenen                hagiographischen
glaubw?rdiger   sind ihre individuellen Momente,    es sei denn, diese
 individuellen Momente   sind ironisch ?bertrieben,   wie in der Vita
S. Goari oder der Gangulfvita, was aber nur bei sp?teren Viten der
Fall ist. Der Vergleich mit der zeitlich vorausgehenden     Hagiogra
phie schafft also die M?glichkeit,    Neues als solches zu erkennen,
ebenso wie der Vergleich      mit nachfolgenden     hagiographischen
                 zu                   vermag,       was          an     einst       individuellen                                einer
Epochen                  zeigen                                                                            Z?gen
Vita      infolge        ihrer vorbildhaften                 Wirkung                 nun seinerseits              zum tra
dierbaren                                           ist,     ein                                    der    m.         E.        mehr
                    Topos         geworden                             Gesichtspunkt,
Beachtung             als bisher verdient,                  da er zu der auch f?r unser Thema
zentralen        Frage         hinleitet,        warum           ein     bestimmter,                                              indi
                                                                                                 urspr?nglich
vidueller       Zug         in einer ganz bestimmten                              Epoche         zum hagiographi
 schen      Gemeingut             werden         konnte.
      Schlie?lich    und endlich wird man bei der historischen      Aus
wertung einer Vita immer nach den Beweggr?nden           fragen, die zur
Niederschrift     einer Vita f?hrten. Die simple Antwort,      da? Ver
ehrung und Liebe zu einem Heiligen dem Hagiographen           gleichsam
die Feder in die Hand dr?cken, gen?gt nicht. Oft sind es sehr kon
krete Ziele der Propagierung     eines Kultes, und diese Propagierung
wird dann auch mit Eifer und Geschick vorangetrieben,        wie bereits
am Beginn abendl?ndischer       Hagiographie   in den Briefen und Dia
 logen des Sulpitius Severus zu seiner Martinsvita      sehr klar zu er
                                                                                                                  '
kennen         ist. Tours          entwickelt           sogar         eine    Art     ?kanonischer"                   Sammel
handschrift              mit      Texten,        die       sich um die Schriften                          des Sulpitius
Severus                                 es                            diese     Handschrift,              den     sog.           Mar
               gruppieren,                   produziert
 tinellus, in zahlreichen Exemplaren    und tr?gt somit auf literari
 schem Wege zur Verbreitung   des Martinskultes bei9). Eine Vita kann
ebenso        der                                 und                                           eines     neuen             Patro
                      Durchsetzung                          Popularisierung
 ziniums  dienen. Es ist beispielsweise    sicher kein Zufall, da? 769 in
Freising   zum ersten Male das Corbinianspatrozinium           bezeugt ist,
nachdem Arbeo um diese Zeit seine Vita Corbiniani geschrieben
hatte10). Denselben     Vorgang:   Patroziniumswechsel       aufgrund der
Propagierung     eines Heiligen  durch eine neue Vita finden wir etwa

 8) Besonders       scharf,    aber auch      ?bertrieben       und verallgemeinernd                                            heraus
gearbeitet     hat die Bedeutung         von Topoi E. R. Curtius,          Europ.    Lit.                                  u.    latein.
Ma.    (1948).
 9) E. K. Rand,       Studies     in the Script     of Tours,     2 Bde.,  1929/34.
 10) Th. Bitterauf,      Freisinger     Traditionen       I, Nr. 31, S. 59 f.
                                                                                                                                 35?
532                                  Friedrich        Prinz


 in Rouen in der Grabkirche des hl. Audoen,   in Metz im Grabkloster
des hl. Arnulf,  inW?rzburg    im Anschlu?   an die Vita Kiliani, wie
Dienemann     und Biglmair gezeigt haben11).
        Wenden       wir    uns   nach       diesen     methodischen            Vorbemerkungen
?ber Zweck und Wert hagiographischer             Literatur unserem Thema
 im engeren Sinne zu und fragen wir, ob und in welcher Weise das
Bild der merowingischen       Adelsgesellschaft      in den zeitgen?ssischen
Viten auftaucht. Das ungew?hnliche           Anwachsen     der Vitenliteratur
 im Frankenreich     w?hrend      des 7. Jh.s (im Vergleich       zu anderen
L?ndern Europas)       zeigt bereits, da? dieses f?r die abendl?ndische
Entwicklung     so entscheidende     merowingische       Jahrhundert      in der
Heiligen vita einen zeitgem??en        geistigen Ausdruck       fand12), w?h
rend die Historiographie,     die mit antiker Substanz gespeist bei Gre
gor von Tours im 6. Jh. einen letzten Aufschwung             erlebt hatte, im
7. Jh. in der sogenannten Fredegarchronik          ausl?uft und einen quali
tativen Tiefpunkt     erlebt, einen Tiefpunkt,      den man allerdings viel
zu sehr f?r alle geistigen ?u?erungen           in diesem Saeculum verall
gemeinert hat13). Die Hagiographie          jedoch erlebte einen unbezwei
 felbaren                                        wir      uns     daher,   ob     und    in welcher
              Aufschwung.           Fragen
Weise       sich die Vitenliteratur             des 7. und auch des 8. Jh.s von der
 vorausgegangenen            Hagiographie              unterscheidet.      Bereits       Katharina
Weber war es aufgefallen,          da? sich die altgallische Hagiographie
des 6. Jh.s, besonders       in den Vitae Patrum Gregors von Tours, in
denen das Leben der Klausner und Eremiten Aquitaniens                     geschil
dert wird, nicht genug tun konnte in der Schilderung der ?rmlich
keit der Behausungen,        der Primitivit?t    der Kleider und Ger?te, der
Welt-    und Kulturverachtung.        Dies ?nderte sich in den fr?nkisch
merowingischen       Heiligenleben    des 7. und 8. Jh.s grundlegend. Die
Heiligen    erbauen jetzt gro?e Kl?ster mit prachtvollen Kirchen,               f?r
deren Unterhalt       aus Adels- und K?nigsgut           umfangreiche     Grund
herrschaften     eingerichtet werden14). F?r diesen Wandel             der hagio
graphischen    Umwelt mu? man in erster Linie die Tatsache verant
wortlich machen,       da? die merowingischen         Heiligen    fast durchwegs
 einer anderen Gesellschaftsschicht         entstammen        als die bei Gregor
geschilderten     Klausner     und Eremiten      ; sie sind Angeh?rige       einer
 dem K?nigtum         eng verbundenen       Adelsschicht       im K?nigsdienst,
deren Lebensanschauung           und Weltbild      sich in den Viten der Zeit


 u) F. Prinz,     Zur   geistigen    Kultur     d. M?nchtums         im sp?tantiken        Gallien    u.
  im Merowingerreich,         in: ZBLG     26 (1963), S. 29?102,         bes. S. 89ff.
 12) E. Dekker-Ae.       Gaar, Clavis      Patrum      Latinorum       (1951).
 13)Wattenbach-Levison,            Geschichtsquellen         I, S. 109ff.
 14) K. Weber,     Kulturgeschichtliche           Probleme,      S. 379.
Heiligenkult           und     Adelsherrschaft                             533


unverkennbar                                                                                        und     inne
                            niedergeschlagen                 hat15).      Bildungsniveau
ren Zusammenhang        dieser einflu?reichen Adelsgruppe    k?nnen wir
                    auch au?erhalb der Hagiographie    fassen und damit
gl?cklicherweise
die Aussagen     der letzteren kontrollieren, etwa durch die erhaltene
                    des B. Desiderius     von Cahors, die u. a. Briefe
Briefsammlung
               von                                     von                      des   B.   Constantius          von
Audoens                    Rouen,         Eligius'              Noyon,
                                                        u. a. enth?lt16).
Albi, des Hausmeiers Grimoald, K?nig Sigiberts III.
Diese Briefsammlung      zeigt, wie k?rzlich P. Riche dargelegt hat, ein
erstaunliches Ma? von antik-historischer      Schulung der Briefsteller,
womit die h?ufigen Angaben         der Viten dieser M?nner,    sie h?tten
 eine literarische Bildung genossen, nicht l?nger als ein Topos bei
seite                        werden           k?nnen17).
          geschoben
      Im Zusammenhang        damit steht eine weitere Beobachtung,
welche    die Merowingerviten     von der sp?tantiken  Hagiographie
unterscheidet.  Es ist die Beobachtung,    die der Prager Medi?vist
Frantisek         Graus,            von     ganz     anderen           Voraussetzungen             ausgehend,
andeutet,          er sagt, da? die Einstellung
                  wenn                             der merowingischen
Hagiographen     zur weltlichen Macht im Grunde genommen positiv
 sei, selbst wenn im einzelnen ein schlechter K?nig oder Adeliger
vorkommen mag18). Diese Feststellung        l??t sich nun im einzelnen
              und erweitern. Erstens durch den Nachweis,      da? poli
begr?nden
 tischen und famili?ren Beziehungen       des adeligen Heiligen      zum
            und       zu                                                   an   der    vormerowingischen
K?nig                        seinesgleichen,           gemessen
                ein unverh?ltnism??ig    breiter Platz einger?umt wird.
Hagiographie,
Dies geht sogar so weit, da? nicht nur der politische Werdegang      des
Heiligen geschildert   wird, sondern auch der seiner Br?der, wie etwa
 in der Vita Desiderii19)   oder in der Vita des Abtes Germanus von

                 Fr?hes                     S. 489 ff.
15) F. Prinz,                M?nchtum,
                     III, S. 191?214,       dazu F. Prinz,   Fr?hes   M?nchtum,         S. 504f.
16) MG Epist.
                   L'instruction     des la?cs en Gaule m?rovingienne           au VIIe    si?cle,
17) P. Riche,
in: Settimane         di studio    del centro     italiano di studi   sull'alto   medioevo       V
                      S. 873?888,      bes. S. 878f. u. 885, gegen H. Pirenne,        De l'?tat
 (Spoleto   1958),
de l'instruction       des la?ques ? l'?poque m?rovingienne,        in :Rev. B?n?d.       XLVI

 (1934), S. 164?177.
                                     bei den Anf?ngen            des Feudalismus        u. die ,,Gefange
18) F. Graus, Die Gewalt
                       der merowingischen            Hagiographie,        in: Jb. f.Wirtschaftsgesch.
nenbefreiung"
I (1961), S. 61?156,             bes. S. 86.
                        abbatis     Grandivallensis          SSRM V, S. 25?40,           bes. c. 1, S. 33:
 19) V. Germani
          sanctus Germanus           abba et martyr,          sacerdos Dei, natale       solo Trevirorum
 Igitur
civium      urbis    incola    fuit, ex genere         senatorum      prosapie    genitus,      sed nobilior
sanctitate.      Pater    eius Optardus         ; fratres vero eius Opthomarus             et Numerianus.
                     sub Dagoberto          rege quondam           aulae   regiae   elegantiae        et mun
Opthomarus
danae      scientiae     inbutus,     sub rege Sigeberto,           idemque     quondam,         fultus Deo,
ceteris                     sublimior      fuit. Die Ausf?hrlichkeit,           mit    der die politische
           proceribus
534                                        Friedrich       Prinz



Granfelden20),      eine Tatsache,    die wir vergeblich        in der vormero
wingischen Hagiographie         suchen werden.
      Ferner f?llt gegen?ber der vormerowingischen                Hagiographie
auf, da? die politische Wirksamkeit           eines Heiligen keineswegs mit
 seinem Eintritt in das geistliche Leben abbricht, sondern geistliche
und weltliche Aufgaben,        auch auf h?chster politischer Ebene, sind
weiterhin    eng miteinander      verflochten    und beide gleicherweise         in
der Vita lobend herausgestellt.          Man nehme die Vita des letzten
gesamtmerowingischen          Politikers,     des Bischofs      Audoenus      von
Rouen21),     oder die von demselben Audoen               verfa?te Vita seines
Freundes Eligius von Noyon,            des Finanzministers         Dagoberts     I.
Ebenso sehen wir die enge Verquickung               politischer    und religi?ser
Wirksamkeit       in der Vita Arnulfs von Metz oder gar in der Passio
Leodegars      von Autun,     die die negative        Seite der Verquickung
merowingischer       Kirchenf?rsten       in die Politik drastisch zum Be
wu?tsein    bringt22).
      Hier mu? ein naheliegender           Einwand      zur Sprache gebracht

 Stellung der Familie       berichtet    wird,     zeigt, da? in der Auffassung     des Hagio
 graphen   aus dem       7. Jh. die adelige Welt           keinen   Gegensatz    zur Welt    des
Heiligen   darstellt,     sondern     eher als die selbstverst?ndliche        Grundlage     gilt,
 die das Heilige      und den Heiligen         selbst hervorbringt.     Jenes der Kennzeich
nung      der adeligen     Herkunft      des M?rtyrers     Germanus       angeh?ngte       ,,fide
nobilior"    wirkt   dagegen    als ein blasser,  angeh?ngter     hagiographischer      Topos.
Da Germanus         als Trierer     vermutlich   Romane      war,   gewinnt     die Betonung
des guten Verh?ltnisses          der Familie     zum K?nigshof       noch    eine andere    Be
 deutung,      war  doch   der K?nigsdienst                   ein     direkter   Weg      f?r die    romanische
 ehemalige      Senatorenschicht      Galliens,                     innerhalb     der    neuen,       fr?nkischen
Herrschaftspyramide           wieder   politisch                 aufzusteigen.         (Vgl. auch        etwa     die
Laufbahn       des merowingischen        Finanz                ministers                          ?    Verwiesen
                                                                             Parthenius.)
sei ferner     auf die    ,,gesellschaftliche                Selbsteinstufung"           des Abtes Widerad
von Flavigny:                                                                      ?                             Du
                    Pardessus        II, Nr.             514, S. 323?327.                H. L. Bordier,
Recueil   des chartes m?rovingiennes,                      Paris                            . . . ego Wideradus
                                                                     (1850), S. 23ff.
abbas,   filius viri   inlustri     Corbonis               . . .Widerad       errichtete       das Kloster       auf
 seiner   res propria.
  20) V. Desiderii      SSRM       IV, S. 547ff.,      bes. c. 2 ... A quo          (= Dagobert      I.) hi
 tres germani,        id est Rusticus,        Siagrius     et Desiderius,      florentissime     enutriti,
 summis      dignitatibus        praediti     sunt, Rusticus         ut praefati      sumus,   abbatiam
 palatini     oratorii,     quod      regalis     frequentatur       ambitio,      et archidiaconatus
 officium    gessit.    Siagrius     autem Massilia         gubernacula       et Albiensium      cometa
 tum annis plurimis           administra      vit. Desiderius       vero    iunior tempore,       sed non
 inferior     dignitate,         sub     ?ndoles     adhuc   annis  tesaurarius         regis effectus,      valde
 strenue      se accinxit          ...   ; ?hnlich      c. 4 u. c. 7 (Einr?cken          der Br?der        in hohe
 Staats?mter).
 21) Vita Audoini           SS     rer. Merov.  V, S. 536?567.
 22) Passio     Leudegarii           I u. II, ebd. V, S. 249?362.
Heiligenkult              und      Adelsherrschaft                                  535


werden, der Einwand      n?mlich, da? schon in der Sp?tantike An
geh?rige der h?chsten Gesellschaftsschichten      Heilige geworden und
damit in die Hagiographie     eingegangen    sind, etwa Ambrosius        von
Mailand,    einst Inhaber der Praefectura     Galliarum      in Trier, oder
Papst Gregor der Gro?e. Nat?rlich       geh?rt es zu den auff?lligsten
Fakten gerade der Sp?tantike, da? eine gro?e Zahl Angeh?riger             der
senatorischen Aristokratie wie der Oberschichten        insgesamt    aus den
verschiedensten    Gr?nden aus der hei?gelaufenen        Maschinerie      der
 stockenden,         nachdiokletianischen                        Zentralverwaltung                      ausspringt,
 sich dem geistlichen             Leben           in der radikalen                Form        des M?nchtums
                 ?
zuwendet          oder          nach      dem      Zusammenbruch                      des     zentralistischen
                                        ?   im Bischofsamt    ihrer Civitates
r?mischen Verwaltungs?berbaus
neue Wege       ?ffentlicher Wirksamkeit        findet23). Beide M?glich
keiten kombinieren        sich in der gro?en, s?dgallischen M?nchsschule
von L?rins, wo M?nner der teilweise depossedierten,                gallischen
Aristokratie    eine streng asketische Schulung erhielten und dann be
deutende Bischofssitze        in Gallien einnahmen24). Ein anderes Bei
spiel ist f?r die? Donaulande       der hl. Severin, der ? wie seine Vita
erkennen     l??t       ebenfalls der politischen     F?hrungsschicht      Ita
 liens                             und,         nach          einer    monastischen                Schulung                  in
         entstammte25)
orientalischen            Kl?stern,             in Noricum             beim       Zusammenbruch                        der
staatlichen        Verwaltung             ein    gro?es                                         wie       auch        reli
                                                                 politisch-soziales
gi?ses        Hilfswerk        Der entscheidende
                              aufbaute.                  Unterschied  zur
merowingischen    Hagiographie     besteht     jedoch gerade darin, da?
Severin bzw. sein Biograph Eugippius die Frage der aristokratischen
Herkunft bewu?t als iactantia utpote sinistra ausklammern und da
mit einen Trennungsstrich     zwischen ihrer fr?heren hohen Stellung
 in der Welt und ihrer Wirksamkeit         als Asketen    ziehen. Das gilt
auch f?r die hagiographischen     Berichte ?ber die gallischen Aristo
kraten in L?rins, deren vornehme Herkunft          entweder kurz erw?hnt

 23) Hierzu    die f?r die gallischen   Verh?ltnisse                     grundlegende           Prosopographie
von K. F. Stroheker,      Der senatorische    Adel                    im sp?tantiken          Gallien, T?bingen
1948.
 24) F. Prinz,    Fr?hes M?nchtum,      S. 47 ff.
                                         Herkunft                     aus
                                                                dem Brief     des Eugippius        an
 23) Severins  aristokratische                       folgt
                                                                                                 ?
Paschasius,   Vita   Severini          (ed. Th. Mommsen)    I, 9, S. 4: ,,. . .quid prodest"
                                                                                                 ?
sagt hier Severin     zu einem         Neugierigen,      ihn nach seiner Herkunft
                                                       der                                fragt
 ,,servo  dei significatio      loci vel generis    sui,   cum potius       id tacendo    facilius,
         evitare   iactantiam      ?" Diese  Stelle  ist nur dann sinnvoll,        wenn    Severi
possit
nus aus christlicher        Demut     seine vornehme       Abkunft      nicht preisgeben      will.
Ironisch     f?gt Severinus    hinzu, wenn     der Frager       glaube,   er sei ein entlaufener
Sklave,   so solle er nur das L?segeld                  f?r     ihn bereithalten.           Auch       die Charakte
ristik des Heiligen    durch Eugippius                    als    ?homo       omnino         latinus"      spricht       f?r
seine hohe    soziale Herkunft.
536                                  Friedrich       Prinz



wird,       wie   bei    Honoratus,         Eucherius,        Faustus,         Caprasius,       Lupus,
oder ebenfalls als unwesentlich                      ausdr?cklich        ausgeklammert   wird,
wie bei Hilarius von Aries26).                       Am ehesten          n?hert sich noch die
wertvolle         Vita     des   Germanus          von    Auxerre        dem     merowingischen
politisch-aristokratischen        Vitentyp     an, da in ihr relativ ausf?hr
 lich der weltliche Werdegang          des Heiligen geschildert wird27).
     Wie kommt es aber, da? dem merowingischen                     Hagiographen
die enge Verquickung         der asketischen mit der politischen Wirksam
keit seines adeligen Helden so stark ins Auge f?llt, da? er ihr einer
weit ?ber die Vorbilder der bisherigen Legendenliteratur                    hinaus
                                                                zu jenem Punkt,
gehenden Platz einr?umt? Damit kommen wir
von dem aus man die Einzelbeobachtungen                 ?ber die Art merowingi
 scher Heiligenleben        sowohl typologisch       ordnen wie auch erkl?ren
kann, warum diese Hagiographie               nicht nur materiell,      d. h. durch
die ?berlieferung       von Einzelz?gen,       ein Spiegel der fr?hmittelalter
 lichen Adelsgesellschaft,        sondern auch funktionell,         d. h. in ihrer
Absicht,    ein Spiegel, eine Selbstdarstellung          dieses Adels ist.
       Schon institutionell,      von Art und Ort ihrer Entstehung              her,
mu? die merowingische            Hagiographie       dem Adel eine gro?e und.
positive Rolle in ihren Darstellungen              einr?umen, denn die MehrJ
zahl aller Viten entstand          ja  in Kl?stern,    die dem K?nigtum         und
seinen f?hrenden Adelskreisen              ihre Entstehung       verdanken.     Den
Blick auf den Heiligen          schlo? den Blick auf die adelige Gr?ndern
 sippe mit ein, der der Heilige dazu noch vielfach selbst entstammte
und auf deren Heil das Heiligengrab                  von selbst zur?ckwirken
mu?te. Die Frage, ob es die adeligen Familien der Merowingerzeilj
n?tig hatten, durch eine Klostergr?ndung                 aus ihrem Besitz       ihre
eigene   Position     zu festigen, bringt uns an die Beantwortung                der
oben gestellten Frage, ob und in welcher Weise die Hagiographie
dieser Epoche eine Spiegelung bzw. Selbstspiegelung                ihres Adels sei.
Durch     den ?bertritt        zum Christentum         verlor der germanische!
Adel zwangsl?ufig        ein Gutteil seines zuvor in der heidnischen Reli^
gion begr?ndeten         charismatischen       F?hrungsanspruches,         der sich

                           bedient      sich des Kunstmittels,                           verbis     auf die
 26) Der Biograph                                                          expressis
                     Heimat       und Eltern        lobend   zu erw?hnen,        zu verzichten,         denn
Gepflogenheit,
 so habe    es Hilarius      selbst    in seiner Lobrede         auf Honoratus          getan.    Er wolle
aus der F?lle        der Tugenden         seines Heiligen       einige    (n?mlich      die weltlichen!)
auslassen,       ,,ut vitae     ipsius    pretiosissimum        moni    le, non humanis             gemmis
ornatum,       sed supernis     virtutibus      splendidum,       sine artificis manu,        pretiositate
propria    commendetur".          Vita Hilarii        c. 2 (ed. S. Cavallin,     Lund       1952), S. 81 f.
 27) Vita Germani         episc. Autissiodorensis,           SS rer. Merov.        VII,     S. 225?283,
bes. c. 1, S. 251; vgl. W. Levison               NA. XXIX,           1903,    S. 97?175;        E. Griffe,
La Gaule       chr?tienne     II, S. 231 ff.
Heiligenkult         und    Adelsherrschaft                                      537

 aus der Abstammung         einer Adelssippe   von einem g?ttlichen     Spit
 ^enahn herleitete28). Die kultisch-geistige     wie auch politische Vor
                des Adels war mit der Bekehrung           grunds?tzlich   er
 rangstellung
 sch?ttert.   (In Parenthese      sei hier die Frage eingef?gt,     ob nicht
 diese grundst?rzende      Ersch?tterung     der Stellung des Adels durch
 den Verlust    seiner heidnisch-sakralen      Sanktionierung    auch einer
 der Gr?nde war, die es r?cksichtslosen       Machtmenschen     wie Chlod
 wig erm?glichte,     sich relativ leicht seiner uradeligen Herrschafts
 konkurrenten           innerhalb      des     Frankenbundes                 zu                         und      da
                                                                                  entledigen
 mit zur Alleinherrschaft   zu gelangen ?)Wie dem auch sei, die mero
 wingische Hagiographie      vermittelt uns Einblick     in drei typische
 Reaktionsweisen,    durch die der fr?nkische Adel seiner charisma
  tischen Entwurzelung    durch das Christentum      sch?pferisch  zu be
  gegnen     suchte:
   ?     1. Die merowingische               Hagiographie            setzt      neben      die        alten,      aus
 dem Orient oder aus dem sp?tantiken Gallien tradierten Heiligen
  Jo?te neue, ?zeitgen?ssische"     Heilige aus den Reihen der sich im
  J7.Jh. bildenden,  reichsfr?nkischen     Oberschicht.    Angeregt wurde
  (diese Entwicklung   durch den au?ergew?hnlichen          Widerhall,   den
 Columban und sein Kloster Luxeuil unter dem fr?nkischen Hof
 adel unter Chlothar II., Dagobert         I. und Chlodwig     II. gefunden
 hatte29). So entstanden Viten wie die Audoens von Rouen, Eligius'
 yon Noyon, Wandregisels       von Fontanella,    Filiberts von Jumi?ges,
Arnulfs       von   Metz,      Gertruds          von    Nivelles,                              von      Autun,
                                                                       Leodegars
Desiderius'         von      Cahors.         Luxeuil       und      P?ronne      w?ren                 genauso
 'ephemer in ihrer Wirkung    geblieben wie viele andere Irenkl?ster
 auf dem Kontinent,   wenn sie nicht die lebenswichtige Verbindung
 zum merowingischen     K?nigtum     und zum Kreis merowingischer

                         H. Dannenbauer,                                u. Herrschaft
 ?8) Zum Problem:                               Adel,     Burg                                   bei      d. Ger
manen,     in: H Jb. 61 (1941), Neudruck          in: Wege     d.           Forschung      II, Herrschaft
u. Staat     im MA.,    1956, S. 60?134,      bes. S. 74; K.                Hauck,     Haus-    u. sippen
gebundene       Lit. ma. Adelsgeschlechter,           in: MI?G               62    (1954),   S. 121?145,
Neudruck       in: Geschichtsdenken       und Geschichtsbild                    im MA.      (Wege d. For
 schung,   Bd. XXI),      Darmstadt      1961, S. 165?199,                   bes. S. 183ff.;     vgl. auch
ders.,   Carmina     antiqua,    Abstammungsglaube             u.           Stammesbewu?tsein,            in:
 ZBLG       27 (1964), S. 1?33         (= Festschrift      K. A. v. M?ller).
  29) Vitae    Columbani        I, c. 10 SS rer. Merov.        IV, S. 76: ?...    Ibi (= in Luxeuil)
 nobilium      liberi undique       concurrere     nitebantur,      ut exspreta      faleramenta     sae
 culi et praesentium           pompam       facultatem       temnentes     aeterna      praemia    cape
 rent." Einen        ?hnlichen     Geist   versp?rt     man      in der Inschrift      des Grabsteins
 eines  ,,vir venerabiles  Ludubertus     de nobile    genere",    der im 7./8. Jh. sein Gut
 der Trierer Domkirche       schenkt   und selbst Geistlicher      wurde.  Karl der Gro?e,
Werk     und Wirkung,     Aachen     1965  (10. Ausstellung      des Europarates),     Kata
 log Nr. 234, S. 139, Grabstein       aus St. Matthias,     Trier.
538                                     Friedrich         Prinz



Adeliger und Reichsbisch?fe   gefunden h?tten, die wir in der schohk
palatii Chlothars II. und Dagoberts   I. vereinigt finden und in dem
Freundeskreis           fassen      k?nnen,          der       uns     in der   erw?hnten         Briefsamm^

   lung des Bischofs Desiderius      von Cahors begegnet30). F?r die Wir
 kung von Luxeuil unter der fr?nkischen Oberschicht mu? aber auch
   in Rechnung     gestellt werden,      da? sich der religi?s entwurzelt 5
                     ?     das Christentum                            keine un
 Merowingeradel                                 gibt bekanntlich
mittelbare,     ideelle St?tze zur Sanktionierung        einer Adelsherrschaft
?     durch das Heraustreten       und die hagiographische         Ausformung
 neuer Heiliger aus seinen eigenen Reihen, gewisserma?en              auf einem
 Umweg, n?mlich ?ber heiligm??ige            Familienangeh?rige,       eine neue
  religi?se Selbstrechtfertigung       und eine neue, diesmal christliche
 Verankerung      seiner F?hrungsposition       erringt. Es versteht sich von
                                                     '
  selbst, da? dies kein ideologisch ,,gezielter' Proze? war, sondern ein
 unbewu?ter      und deshalb um so wirksamerer Akt geistiger Selbst
  etablierung,  womit sich bedeutende Adelsfamilien            des Merowinger
  reiches, wie die Burgundofaronen,         die Waldebertsippe,      die Arnul
  finger  und die Pippiniden     geistig   innerhalb des neuen christlichen
Weltbildes     verankerten     und mit den Heiligen          aus ihren Reihen
  neue Garanten f?r das geheiligte Vorrecht ihrer seit jeher bestehen
 den     Herrschaft           schufen.     Der          seit     dem      7. Jh.   vollzogenen,          christ
lichen Begr?ndung    der Adelsherrschaft   folgt die ?bertragung    dels
Herrschaftsdenkens    in die transzendente  Sph?re, d.h. ein typischer
geistiger Inhalt des Adelsdenkens     formt christliche Grundvorstel
 lungen  um und ver?ndert die hagiographischen       Schemata   im ade
 ligen Sinne31).
      An diesem Punkte w?re grunds?tzlich    die Frage zu stellen,                                                ob
 nicht die Christianisierung des 7./8. und wohl auch des 9. Jh.s                                                  im
wesentlichen           eine      ausgesprochene                  Oberschichtenreligion                 gewesen
sei und die ?Tiefenchristianisierung''     mit    ihrer Massenwirkungj,
zumindest n?rdlich der Alpen,       erst mit den kirchlichen
                                                                 Reformj
bestrebungen    einsetzte, die dem Investiturstreit    vorausgingen.    Zu
dieser Auffassung w?rde sehr gut passen, da? Hugeburg,         die Nonne
von Heidenheim,     in der Vita ihres Verwandten Willibald      von Eichr
statt denselben als pius procerum pontifex bezeichnet32),        als einen
frommen Bischof der proceres, d. h. der das Land beherrschenden
Grundherren    und Adeligen ;womit die Herrschaft        des Adels in der
und ?ber die Kirche einen sehr pr?gnanten Ausdruck gefunden hat.

 30) Siehe oben, Anm.             16.
 31) F. Graus, Herrscher             und Heilige,          364 f. betont mit Recht,           da?     die mero
 wingische     Hagiographie           im Gegensatz          zu den voraufgegangenen                Mustern       den
 Adelsheiligen      herausstellt.
  82) Vita Willibaldi       prol.       MGSS      XV,      S. 86.
Heiligenkult          und        Adelsherrschaft                                            539

       Betrachtet   man unter diesen Aspekten        die rnerowingischen
I leiligenleben   des entscheidenden    7. Jh.s, dann ist unsere oben er
v f?hnte Beobachtung      kein Zufall, da? diese Viten ?     im Gegensatz
                                                                            ?
 zur    vormerowingischen                      Hagiographie                         der      weltlichen           Wirksam
keit und den famili?ren Verbindungen               ihrer adeligen Heiligen       ein
relativ gro?es Gewicht beilegen, das aus den ?berkommenen                   Topoi
c.er Hagiographie      nicht abzuleiten       ist und noch weniger aus der
 III. Schrift. Der merowingische,       adelige Heilige ist eben immer noch
Mitglied und Repr?sentant          seiner Familie und seiner Gesellschafts
schicht, seine Heiligkeit      strahlt notwendigerweise        auf seine Familie
und auf deren politisches         Prestige    zur?ck, mit ihm gewinnt die
Familie und der Adel als Herrschaftsform                 jene kultisch-religi?se
Sanktionierung      zur?ck, die er innerhalb des Gef?ges der heidni
schen Religion      besessen hatte und die mit dem ?bertritt                   zum
Christentum      grunds?tzlich     bedroht war. Damit         erweist sich aber
die enge Verkn?pfung           des rnerowingischen        Heiligen mit       seiner
Familie, mit dem K?nigtum             und den ?       positiv gew?rdigten
                                                                                ?
Formen            der       Adelsherrschaft             als        ein     neues,         n?mlich           germanisches
Element               in der Hagiographie33).                      Es       ist in diesem Falle                       nicht       nur
 formal         ein     germanisches             Element,                sondern          auch      funktional,                n?m
                                                                                                                               '
 lich im Sinne des Toynbeeschen                                Begriffspaars                 von ?challenge'                    und
  ,,response"               eine   sch?pferische            Antwort                des    Adels           auf     die     grund
s?tzliche Herausforderung   und Bedrohung,  die das Christentum
f?r die kultisch-religi?se Begr?ndung  der Adelsherrschaft   heid
nischer Herkunft bedeuten mu?te. Der Heilige aus den Reihen des
                                                                     ?
neuen       rnerowingischen                   Reichsadels                       ganz                      ob     er     sich      eth
                                                                                          gleich,
nisch       aus fr?nkischem                   Stammes-             und Dienstadel                       oder aus dem                    in
der     Reichsverwraltung                     arrivierenden,                gallor?mischen                     Adel       senato
rischer Herkunft      rekrutierte ?   dieser Heilige gab der neuen F?h
rungsschicht,    weil sie seine eigene gesellschaftliche     Heimat war, ein
sowohl kultisch-religi?ses     wie auch gleichzeitig politisch-herrschaft
 liches Prestige. Hier fassen wir die Wurzel          dessen, was Friedrich
Heer die ?politische Religiosit?t"     des Mittelalters    genannt hat ;es ist
eine wesentliche     Komponente      des Mittelalters     ?berhaupt   gewor
den..     Konkret             gesprochen           : es war                                       f?r     den
                                                                   beispielsweise                                 politischen
Aufstieg der Karolinger  sicher nicht bedeutungslos, da? diese m?ch
tige Gro?familie   schon zwei Heilige ? Arnulf und Gertrud ?        in
 ihren Reihen z?hlte, deren Kult bereits Anfang des 8. Jh.s zumin
dest      offizi?s          war,   d.h.,      er war        ?ber         den       engeren        Bereich             karolingi
 scher      Sippenkl?ster                  l?ngst      hinausgedrungen                         und        hatte          gesamt
                                                                               ?         ?
 *3) K. Bosl,         Die
                    germanische    Kontinuit?t      im deutschen   MA.   (Adel    K?nig
Kirche),     in: K. B., Fr?hformen       der Gesellschaft      im ma. Europa,    M?nchen
Wien     1964, S. 80?105,     bes. S. 88 ff.
540                                Friedrich     Prinz


  fr?nkische Geltung          erlangt, wie sich an den merowingisch-fr?ri
 karolingischen       Viten Arnulfs von Metz, Gertruds von
                                                                           Nivelles34]),
 an Psalterien       und Kaiendarien         nachweisen        l??t35). Damit hattfe
 diese Familie eine kultisch-religi?se           Legitimation        erlangt, die sehr
wohl      dem merowingischen             K?nigsheil       entgegengesetzt      werdefa
 konnte und die gleichzeitig           die religi?se Grundlage          f?r die p?pst
  liche Hilfe abgab. Umgekehrt            begreift man, welch schwere, mittel
 bare Bedrohung Arbeos von Freising Viten des hl. Emmeram und
 Corbinian      f?r die agilulfingische Herrschaft            bedeuten mu?ten, da
 die ausf?hrliche         Beschreibung       des ?blen Schicksals,           das zwii
 agilulfingische Herz?ge           jeweils diesen Heiligen bereiteten,          ein un
 verkennbarer      Affront gegen die politische Herrschaft                 der Agilul
 finger und zugleich ein Angriff auf die religi?se Sanktionierung                    d?r
Agilulfingerherrschaft          ?berhaupt war36). !
       Typologisch         ist schlie?lich     noch bemerkenswert,            da? die
 durchwegs positive Wertung              der adeligen Herkunft          und der welt
  lichen Wirksamkeit         eines merowingischen        Heiligen der erste Schritt
und eine wesentliche             Vorbereitung       einer religi?s durchformten
 ?adeligen Standesethik"           von Seiten der Kirche war, einer Standes
 ethik, die dann, wie Heinz L?we an Regino von Pr?m gezeigt hat,
Schritt      f?r Schritt weiterentwickelt          wurde37). Ohne den Adels
heiligen der Merowingerzeit              ist die Ethisierung        des Adeligen      im
Hochmittelalter         undenkbar. Der staufische Ritter,                f?r den gotes
hulde, ?r und varnde guot vereinbare              sittliche und gesellschaftliche
Werte      sind, ist undenkbar         ohne die in der Merowingerzeit              voll
 zogene christliche Sanktionierung            des Adels durch die Heiligen aus
                    ?
 seinen     Reihen.
      Wir      haben    als erste der drei typischen Reaktionsweisen,                     durch

 34) Vita    Arnulfi SS rer. Merov.     II, S. 426?446;    Vita Geretrudis,    ebd., S. 447
 bis 474,   nebst  dem um 655 verfa?ten           Additamentum      Uivialense     zur Vita
 Fursei,  SS rer. Merov.     IV, S. 449?451.       Die politische Wirksamkeit       Arnulfs
 tritt in seiner Vita durchaus      nicht   so stark hinter dem rein h agiographischen
Aspekt      zur?ck,    wie W. Levison       meinte      (Wattenbach-Levison,         Geschichts
 quellen    I, S. 126.
 35) Eine    vor 800 in einem angels?chsisch         beeinflu?ten     Kloster     zwischen Maas
und Rhein       entstandenes     Psalterium     bezeugt    den Kult Arnulfs        und Gertruds
 und bringt Gebete        f?r Karl den Gro?en       und seine Kinder,         f?r das fr?nkische
Heer   und Papst Leo III. = Paris, Bibl. nat. lat. 131159 = CLA V, Nr. 652 foL
 1645?165v;       vgl. F. Prinz,    Zur geistigen    Kultur,     S. 89f.
 36) F. Prinz, Zur geistigen   Kultur,   86 ff. ;ders., Die Herrschaftsstruktur          Bayerns
 und Alemanniens        im 8. Jh., Bll. f. dt. Landesgesch.        102 (1966) S. 11?27.
 37) H. L?we, Regino       von Pr?m     und das historische       Weltbild     der Karolinger
 zeit, in: Rh. Vjbll.     17 (1952), S. 151?179,        Neudruck,       in: Geschichtsdenke?
 und Geschichtsbild        im MA.,    h. c. S. 91?134,       bes.   S. 100ff.
Heiligenkult          und     Adelsherrschaft               541
 _j

 die der fr?nkische Adel seiner kultischen Entwurzelung            durch das
 Christentum     sch?pferisch    in der Hagiographie    begegnete, die M?g
  lichkeit behandelt,    den Heiligen    aus den eigenen Reihen als Typus
 und Gegenstand        kultischer Verehrung     zu entwickeln. Es liegt auf
       Hand, da? diese M?glichkeit        nicht immer gegeben war, denn :
 djer
? viele pers?nliche M?ngel auch gerade den rnerowingischen             Heili
     n anhaften m?gen, ein gewisses, unerl??liches Ma? menschlicher
      *??e und religi?ser Ergriffenheit mu?te      in jedem Fall vorhanden
 sein, um daraus hagiographisch         einen adeligen Heiligen entwickeln
 zu k?nnen.           Wo        diese                                              fehlte,    mu?te     ein    zweiter
                                        Grundvoraussetzung
Weg       beschriften             werden,         um eine neue,              christliche          Sanktionierung
 des                                                              zu     erreichen.
         adeligen          F?hrungsanspruches
        Dieser Weg bestand darin, da? der Adel seine Eigenkl?ster,               die
 von ihm selbst geleitet wurden, mit wirkkr?ftigen                  Reliquien   aus
 stattete und auf diese Weise           seine vielfach erst zu diesem Zweck
                  Kl?ster   zu Kultzentren^
 gegr?ndeten                                      find St?tten des allgemeinen
Heils machte,       eines Heils, das verm?ge          seiner Wirkung       im Volke
 S3wie der Propagierung          durch Tra?slationsbericht           und Heiligen
 vita wiederum        st?rkend und best?tigend           auf das politische An
 sehen der Sippe der Kl?sterstifter            und -herr?n zur?ckstrahlte.       Es
 1 .?ndert sich dabei ebenfalls um einen Akt der Selbstheiligung                 der
 adeligen Gr?nderfamilien.         Von diesem Aspekt           her versteht man
 r un auch besser die weitreichende           Bedeutung      der Wunderberichte
von Heiligengr?bern,          die nicht nur einer leichthin postulierten
                                          '
  Wundersucht
  ,;                 des Mittelalters*      entspringen,    sondern zugleich mit
 c em Ruhm des Heiligen           den der Stifter verk?nden, wodurch der
 I leilige erst im eigentlichen Sirpe ?Hausheiliger"            einer Familie und
 S ippe und sein Patrozinium           zugleich ein herrschaftlich-politisches
Faktum       wird. Vielleicht    fassen wir hier eine der tiefsten Wurzeln
und Impulse f?r die Flut adeliger Klostergr?ndungen                      des 7. und
RJh.s:      n?mlich das aus einem gef?hlten               inneren Mangel ?        als
 I rolge des heidnisch-religi?sen      Autorit?tsschwundes        ?    entstandene
 1 sidenschaftliche              Bestreben         des   nach          innerer      Konsolidierung        suchen
den      fr?nkischen             Reichsadels,            sein     altes,         durch     die Konversion        er
 sch?ttertes   heidnisches  F?hrungscharisma                                            durch eine kultisch
4 ;hristliche Neubegr?ndung     seiner Stellung                                          zu befestigen, bzw.,
 ^venn      es      sich   um      Dienstadel        der        Mero                     im    Sinne   A.
                                                                         winger                               Bergen
 i^ruens handelt38),                    ?berhaupt           erst        dieses        F?hrungscharisma                   zu
      A. Bergengruen,        Adel    und Grundherrschaft             im Merowingerreich.      Sied
 ap
          und    standesgeschichtliche          Studie    zu den Anf?ngen        des fr?nkischen
 lpings-
^.dels
         in Nordfrankreich         und Belgien      (1958) ; vgl. aber dagegen      K. F. Werner,
Bedeutende       Adelsfamilien         im Reiche    Karls    d. Gr.,   in: H. Beumann      (Hrsg.),
 JCarl d. Gr., Lebenswerk            u. Nachleben         (1965),   S. 83?142,     der mit   guten
542                                    Friedrich           Prinz


schaffen. Dies war, wie oben gezeigt, durch die neuen Heiligen aus
den eigenen Reihen m?glich,       ebenso durch Reliquientranslatione|n
 in die adeligen Eigenkl?ster    und schlie?lich auch durch die zahl
reichen Klostereintritte     fr?nkischer potentes     und nobiles   in die
 irofr?nkischen Monasteria     vom Luxeuiltyp,    wie sie uns seit Jona|s
von Bobbio      immer wieder bezeugt sind.
       In diesem Sinne einer kultisch-religi?sen    Neu Verankerung des
Adels sind auch beispielsweise        die r?mischen und reichsfr?nki
sehen Reliquien?bertragungen         des westbayerischen     Adels neben
 ihrem religi?sen Zweck zugleich als Mittel         zur Festigung   seiner
Herrschaft           zu    verstehen,         und        seine                              Benediktbeuerrt,
                                                                    Eigenkl?ster
Kochel,  Scharnitz-Schlehdorf, Tegernsee,  Schliersee,   Ilmm?nster
und Schaftlarn damit in einem viel umfassenderen    Sinne, als bishe r
 angenommen,               ?politisch-herrschaftliche                       St?tzpunkte".             Dieser,          sich
um die Huosi              gruppierende,          westbayerische                  Adel       sanktionierte                da ,
                                                                                                      ?          was
mit     seine    eigene,        herrschaftlich-religi?se                     Position           und                       als
Besonderheit    der politischen Verh?ltnisse Westbayerns        noch hin
zukommt ?      gleichzeitig   seine relative Eigenst?ndigkeit   gegen?be r
den Agilulfingern,     in deren Kl?stern     ganz andere Heilige verehrt
wurden39).
     Die dritte M?glichkeit     des Adels, den Schwund kultisch-herr
schaftlicher Autorit?t,    der mit dem ?bergang      zum Christentur n
eintreten mu?te, wieder wettzumachen,       bestand in der gro?z?gige; i
F?rderung    alter Kultzentren    durch die neue fr?nkische F?hrung? -
Schicht, eine M?glichkeit,    deren sich verm?ge ihrer reichen fiskali -
sehen Mittel vor allem die Merowinger selbst bedienten, etwa im Fall e
von St. Martin in Tours, St. Germain in Auxerre,       in St. Denis un< I
anderswo40). Beh?lt man diese innere Notwendigkeit         im Auge, die
                                                                                                                                -
das    merowingische              K?nigtum              wie       seinen     Adel        zwang,          seine     Herr
 schaft nach der Konversion                       zum Christentum                      kultisch       neu zu legi               -
                so                  man                                                                                         -
 timieren,           gewinnt                 auch        ein     besseres      Verst?ndnis                des    Aache
ner Leistungsverzeichnisses    der Reichskl?ster   von 815, wonach di e
dritte, darin erw?hnte Gruppe von Kl?stern Gebete als servitia f? r
den Herrscher    zu leisten hatte41). Diese Gebete, die uns schon au^
der Zeit Karls des Gro?en ?berliefert     sind und, wie z. B. der Code: c
Parisinus   lat. 13 159 zeigt42), dem K?nig,      seinen Nachkommei^

Gr?nden      das Weiterleben        fr?nkischen                  Uradels       neben      und     nach      den Mero_
wingern     erweist.
 39) F. Prinz,    Die Herrschaftsstruktur                      Bayerns        und      Alemanniens               im 8. Jh.,
a.a.O.    S. 17ff.
 *?) F, Prinz, Fr?hes   M?nchtum,                   S. 152 ff.
 41) MG. Capitul.   I, S. 350 f.
                                  j
 *2) Siehe oben, Anm.     35.
Heiligenkult              und     Adelsherrschaft                           543


 und dem fr?nkischen Heer Leben, Sieg und Gesundheit               erflehen,
 sind Teil jener neuen, nun christlichen Heiligung       von K?nig und
 Adel, der wir in ihren drei Hauptformen       nachgegangen     sind.
      Wenn es stimmt, da? die merowingische        Hagiographie      in ganz
 spezifischer Weise     die religi?se Verankerung   der fr?hmittelalter
  lichen Adelsgesellschaft      innerhalb einer sich langsam verchrist
  lichenden Welt widerspiegelt,       dann mu? auch das Bild des rnero
 wingischen   Heiligen     in besonders pr?gnanter Form Z?ge adeliger
 Lebensweise              in     sich    aufgenommen                      haben.   Wie     anfangs       erw?hnt,
 hat bereits Katharina Weber       auf diese Z?ge eindringlich   hinge
 wiesen. F?r die Viten aus der Feder des westbayerischen        Aristo
 kraten Arbeo hat dies in ?berzeugender Weise Heinz L?we getan,
 wobei es wegen des relativ geringen Zeitabstandes       zwischen den
 Heiligen Corbinian und Emmeram        und ihrem Biographen    letztlich
 unwesentlich   ist, ob diese adeligen Charakteristika  mehr auf das
 Konto       Arbeos            oder     Corbinians           und          Emmerams         zu   setzen      sind43).
 Corbinians   kennerhafte    Vorliebe    f?r Pferde,   seine Freude   an
 Schmuck und Prunk ? man denke hierbei an den Schmuckreich
 tum gerade der westbayerischen       Adelsgr?ber,    den Frauke Stein
 zusammenfassend     dargestellt hat44) ?,   die unbek?mmerte    Art des
 Anordnens          und        Herrschens            ?ber         seine    Hausgenossen,        das      in Arbeos

Darstellung     durchschimmernde     Vergn?gen       an k?rperlicher Leistung
 und Wohlgeratenheit,         die wohl     zu unterscheiden        ist von den
 tibernat?rlichen    Wunderkr?ften         eines Heiligen,      schlie?lich  die
 l Fngeniertheit, mit der der Heilige widersetzliche        Personen schlicht
 v erpr?geln l??t oder eigenh?ndig        z?chtigt45) :dies alles sind Z?ge,
 die aus dem traditionellen        Arsenal     hagiographischer       Topoi des
 C Orients allzu deutlich    herausfallen,     als da? man       sie ?bersehen
 d?rfte. All diese Einzelmomente          finden sich auch in der reichs
 fr?nkischen    Hagiographie      zwischen Rhein        und Loire, nur da?
 d ort, entsprechend     der N?he des Adels zum K?nigshof             und seiner
ma?gebenden        Stellung    an demselben,      die politische     Bedeutung
 d es einzelnen Adelsheiligen       noch st?rker        in den Vordergrund

  *                                S. Ill ff. F?r       den Frauentyp           der Hagiographie
      l) H.L?we,       Arbeo,                                                                               vgl.
 ? [aria St?ckle,        Studien      ?ber    Ideale    in Frauenviten         des VII.?X.        Jh.s, Phil.
 I >iss. M?nchen         1957, bes. S. 20ff. u. S. 24ff., wichtig            daselbst     die Feststellung,
 d a? vom 7. bis zum 11. Jh., also bis zum Investiturstreit,                          die M?glichkeit        der
  i< lealen    sanctitas      ohne    nobilitas      ausgeschlossen        bleibt.    Darin     kommt        die
  'eraristokratisierung           des Heiligentyps         oder die Heiligung         des Adels     deutlich
 z um Ausdruck.
  4
     *) Frauke     Stein, Adelsgr?ber           des 8. Jh.s      im rechtsrheinischen         Deutschland,
 I ?h?. Diss.      (Masch.-Schrift),       M?nchen         1961.
  *                              S. 111 ff.
     *) H. L?we,       Arbeo,
544                                            Friedrich       Prinz



ger?ckt wird als bei Arbeo. So weist die Vita Audoini auf die gro?e
Rolle des Heiligen bei den letzten K?lner Ausgleichsverhandlungen
zwischen Austrasien   und Neustrien     im Jahre 680 hin46), die Passio
Leodegars    von Autun berichtet     detailliert die politische Partei
nahme des Bischofs       im jeweiligen Kampf       f?r oder gegen den
neustrischen Hausmeier     Ebroin47), w?hrend die Vita Arnulfs von
Metz deutlich dessen Rolle erkennen l??t, die er bei der G?ngelung
des austrasischen   Unterk?nigtums     durch den austrasischen    Adel
aufgrund    des Edictum    Chlothari   von 614 spielte48). Die Vita
Filiberts            von                                   uns,    wenn            auch      in vorsichtig         ver
                              Jumi?ges            zeigt
h?llender                Form, Audoen als Parteig?nger         des Hausmeiers    Ebroin,
 in welcher                Eigenschaft   er mit Filibert     in Konflikt  geriet49). Die
Reihe der                Einzelbeobachtungen       lie?e sich nach Belieben fortsetzen
und etwa                  mit Karl Haucks        Gesichtspunkt     noch weiter durch
forschen,                 inwiefern beispielsweise     auch in der Hagiographie       de?
                     von      einer                                        Literatur         zu                 w?re.
7./8.       Jh.s                        sippengebundenen                                            sprechen
Man denke    etwa daran, da? Jonas von Bobbio bereits die Kloster
gr?ndungsgeschichten     der Burgundofaronensippe    in der Ile de
                           in der                                                                                          -
France             und                Normandie           innerhalb          des       famili?ren       Zusammen

hanges behandelt.      Da? sippengebundene        Elemente     auch in de?
Hagiographie     enthalten   sind, erhellt ferner aus den Virtutes          s.
Geretrudis,   denen zufolge die hl. Gertrud        ihrer Verwandten,      der
?btissin Modesta     des Trierer Klosters Oeren, an ihrem Sterbetag
 erschien. Hierher geh?rt schlie?lich auch die Tatsache ?            um ein
bereits erw?hntes Beispiel zu nehmen ?,         da? die Nonne Hugebur^ *
von Heidenheim      die Viten ihrer Verwandten Willibald        und Wuni -
bald schrieb und da? schlie?lich die Metzer Bistumsgeschichte             de: 3
Paulus Diaconus       bewu?t     als karolingische     Familiengeschichte
konzipiert               wurde50).
46) Vita       Audoini         c. 2, 3 u. 16 SS rer. Merov.           V,      S. 536ff. ?         E. Vacandard,      Vi<   ?
de saint                              de Rouen   641?684                                              S. 263 ff. u. 296    .
               Ouen,         ?v?que                                    (Paris 1902), bes.
 47) Passio                   ep. Augustodun.                     I u. II, SS rer. Merov.           . V, S. 249?362
              Leudegarii
 48) Vita Arnulfi      ep. Mett.,    SS rer. Merov.        II, S. 426?446,                        bes. c. 1, 3?7,
                                                                                                    ;                 11
 16, 17.
 49) Vita Filiberti,      SS rer. Merov.      V, S. 568?606.
 50) Virtutes    s. Gertrudis      c. 2, SS rer. Merov.         V, S. 465;     s. oben, Anm.   32fl
Hugeburg;       Paulus     Diaconus,       Gesta      episcoporum      Mettensium       MG   SS III
S. 260?270;       dazu K. Hauck,                                    in: Liber Floridus     = Festi
                                          Gebl?tsheiligkeit,
 schrift Paul Lehmann,          St. Ottilien     1950, S. 187?240,         bes. S. 193.

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  • 1. Akademie Verlag GmbH Heiligenkult und Adelsherrschaft im Spiegel merowingischer Hagiographie Author(s): Friedrich Prinz Source: Historische Zeitschrift, Bd. 204, H. 3 (Jun., 1967), pp. 529-544 Published by: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH (and its subsidary Akademie Verlag GmbH) Stable URL: http://www.jstor.org/stable/27614643 Accessed: 13/06/2010 13:39 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=oldwiss. Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org. Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH and Akademie Verlag GmbH are collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Historische Zeitschrift. http://www.jstor.org
  • 2. HEILIGENKULT UND ADELSHERRSCHAFT IM SPIEGEL MEROWINGISCHER HAGIOGRAPHIE VON FRIEDRICH PRINZ SEIT man aufgeh?rt hat, hagiographische Texte lediglich nach ihrem Gehalt an historischen Tatsachen durchzumustern, und seit ?bseinigerma?en zuverl?ssig m?glich ist, den zeitlichen Abstand zwischen dem Helden einer Vita und seinem Biographen zu bestim men, ist die Hagiographie in einem neuen Sinne Geschichtsquelle ?e worden, n?mlich Zeugnis f?r Geist und Gesellschaft einer Zeit, in der wesentliche Urspr?nge abendl?ndischer Geschichte liegen. Van der Essen, Besse, Babut, Delehaye, Levillain, Marignan, Gros de Moreau, Gougaud, Riche haben im franz? jean, Aigrain, Griffe, der Erkenntnis vom Wert der Hagiographie sischen Sprachraum Bahn gebrochen1), in Deutschland schufen Heinrich G?nther und C. A. Bernoulli mit ihren Studien zur Legende Grundlagen einer psychologischen Neuwertung der Hagiographie2), die dann von Katharina Weber, Georg Schreiber, Wilhelm Levison, Bernhard H. L?we u. a. zur Erkenntnis fr?hmittelalterlicher Kultur JK?tting, lind Gesellschaft ausgewertet wurde3). Die sozialgeschichtlichen Aspekte der Vitenliteratur sind neuerdings umfassend von dem sur les vitae 1) L. van der Essen, ?tude critique et litt?raire des saints de l'ancienne ? Les moines de m?rovingiens Belgique (1907). J. M. Besse, l'ancienne in: Archives de la France II ? France, monastique (1906). Les ? R. Aigrain, H. Delehaye, l?gendes hagiographiques (41955). L'hagio Ses sources, ses m?thodes, son histoire ? A. Marignan, graphie. (1953). ?tudes sur la civilisation fran?aise II, in: Le culte de saints sous les M?ro ? P. Grosjean, Note in: Anal. Boll. vingiens (1899). d'hagiographie celtique, LXIII ? E. Griffe, La Gaule chr?tienne ? l'?poque 2 Bde. (1945fi.). romaine, ? L. Gougaud, in Celtic Lands ? E. de (1947/57). Christianity (1932). Moreau, Saint Amand, ap?tre de la Belgique et du Nord de la France (1927). ? Die christliche des 2)H.G?nther, Legendenstudien (1906). Ders., Legende Abendlandes ? C. A. Bernoulli, Die Heiligen der Merowinger (1910). (1900). 3) K. Weber, Kulturgeschichtliche Probleme der Merowingerzeit im Spiegel in: STMBO 48 ? G. Schreiber, Irland im fr?hma. Heiligenleben, (1930). deutschen und abendl?ndischen Sakralraum (1956). ?W. Levison, Aus rheini scher und fr?nkischer Fr?hzeit. Ausgew?hlte Aufs?tze (1948) bes. Teil a) JHagiographisch.es. ?B. K?tting, Peregrinatio religiosa (1950). ?H. L?we, Arbeo von Freising, Eine Studie z. Religiosit?t und Bildung im 8. Jh., in: Rh. Vjbll. 15/16 (1950/51), S. 87?120. Historische Zeitschrift 204. Band 35
  • 3. 530 Friedrich Prinz Prager Medi?visten F. Graus und f?r die fr?he bayerische Hagio graphie von K. Bosl in einer exemplarischen Studie untersucht worden4). Eine besonders in der deutschen Medi?vistik entwickelte Form der Auswertung von Hagiographie und Kultgeschichte findet sich innerhalb der landeskundlichen Forschung, und zwar als Hilfs mittel der Kulturraumforschung und der Erhellung von Kultur str?mungen in quellenarmer Zeit. Erinnert sei hier an die Arbeiten von Eugen Ewig, Heinrich B?ttner, Marcel Beck, Helmut Weigel, W. Deinhardt, Walter Zimmermann und an die zusammen gro?en fassenden kultgeographischen Studien von Matthias Zender im Zu sammenhang mit den am Atlas der deutschen Auswertungsarbeiten Volkskunde5). Kann man der Hagiographie ihren Erkenntniswert f?r das Leben und Meinen breiter Volksschichten nicht absprechen, so ist] er m. E. noch viel gr??er und einleuchtender f?r die Erkenntnis der! fr?hmittelalterlichen Adelsgesellschaft. Voraussetzung f?r Erkenntnisse ?ber die merowingische Adels gesellschaft ist nat?rlich die Begrenzung der Quellen auf wirklich merowingische, wenn auch nicht zu ?bersehen ist, da? ?berdies aus sp?teren, karolingischen ?berarbeitungen, wie etwa im Falle der Eligiusvita, bei vorsichtiger Pr?fung Merowingisches ausgesondert werden kann6). Der von Bruno Krusch drastisch reduzierte Bestand echt merowingischer Viten hat sich ?brigens in den Jahrzehnten der Auseinandersetzung mit der Krusch-Levison-Edition betr?chtlich vermehrt, dies gilt etwa f?r die Viten der Jurav?ter, f?r^die Vita Rusticulae, die Vita Amandi, u.a.m.7). Will man die Aussagekraft einer Vita richtig einsch?tzen, dann mu? man bekanntlich zuerst jene Elemente ausscheiden, die zur 4) F. Graus, Herrscher u. Heiliger im Reich der Mero winger, Studien z. der Merowingerzeit ? K. '? Hagiographie ( Prag 1965). Bosl, Der,, Adelsheilige' Idealtypus und Wirklichkeit, Gesellschaft und Kultur im merowingischen des 7. u. 8. Jh.s, in: Speculum ? Festschrift Bayern Historiale Joh. Sp?rl (1965), S. 167?187. 5)M. Zender, R?ume u. Schichten ma. Heiligenverehrung in ihrer Bedeutung f. d. Volkskde. ? Atlas d. deutschen (1959). Ders., Volkskde., Erl?uterungen z. 1. Lieferung Karte NF 1?12, 1959, daselbst auch S. 213 ff. die weitere Lit. 6) SS rer. Merov. IV, S. 634?761; dazu Wattenbach-Levison, Geschichts quellen I (1952), S. 127f. 7) P. Riche, Note d'hagiographie m?rovingienne: La Vita Rusticulae, in: Anal. Boll. LXXII ? (1954), S. 369ff. B. W. Hoogterp, Les Vies des P?res de Jura, in: Bull, du Cange ? F. Prinz, (1935), S. 129?251. Fr?hes M?nch tum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monastischen Entwicklung (4.?8. 1965 Jh.), (passim).
  • 4. Heiligenkult und Adelsherrschaft 531 hagiographischen Tradition und ihrem Genre geh?ren, Elemente, die aber darum noch nicht wertlos sind, sondern immer noch durch die Art ihrer Verwendung mittelbare Aufschl?sse von Wert er Im wird man lauben8). allgemeinen sagen k?nnen, je st?rker eine Vita vom Rahmen abweicht, um so vorgegebenen hagiographischen glaubw?rdiger sind ihre individuellen Momente, es sei denn, diese individuellen Momente sind ironisch ?bertrieben, wie in der Vita S. Goari oder der Gangulfvita, was aber nur bei sp?teren Viten der Fall ist. Der Vergleich mit der zeitlich vorausgehenden Hagiogra phie schafft also die M?glichkeit, Neues als solches zu erkennen, ebenso wie der Vergleich mit nachfolgenden hagiographischen zu vermag, was an einst individuellen einer Epochen zeigen Z?gen Vita infolge ihrer vorbildhaften Wirkung nun seinerseits zum tra dierbaren ist, ein der m. E. mehr Topos geworden Gesichtspunkt, Beachtung als bisher verdient, da er zu der auch f?r unser Thema zentralen Frage hinleitet, warum ein bestimmter, indi urspr?nglich vidueller Zug in einer ganz bestimmten Epoche zum hagiographi schen Gemeingut werden konnte. Schlie?lich und endlich wird man bei der historischen Aus wertung einer Vita immer nach den Beweggr?nden fragen, die zur Niederschrift einer Vita f?hrten. Die simple Antwort, da? Ver ehrung und Liebe zu einem Heiligen dem Hagiographen gleichsam die Feder in die Hand dr?cken, gen?gt nicht. Oft sind es sehr kon krete Ziele der Propagierung eines Kultes, und diese Propagierung wird dann auch mit Eifer und Geschick vorangetrieben, wie bereits am Beginn abendl?ndischer Hagiographie in den Briefen und Dia logen des Sulpitius Severus zu seiner Martinsvita sehr klar zu er ' kennen ist. Tours entwickelt sogar eine Art ?kanonischer" Sammel handschrift mit Texten, die sich um die Schriften des Sulpitius Severus es diese Handschrift, den sog. Mar gruppieren, produziert tinellus, in zahlreichen Exemplaren und tr?gt somit auf literari schem Wege zur Verbreitung des Martinskultes bei9). Eine Vita kann ebenso der und eines neuen Patro Durchsetzung Popularisierung ziniums dienen. Es ist beispielsweise sicher kein Zufall, da? 769 in Freising zum ersten Male das Corbinianspatrozinium bezeugt ist, nachdem Arbeo um diese Zeit seine Vita Corbiniani geschrieben hatte10). Denselben Vorgang: Patroziniumswechsel aufgrund der Propagierung eines Heiligen durch eine neue Vita finden wir etwa 8) Besonders scharf, aber auch ?bertrieben und verallgemeinernd heraus gearbeitet hat die Bedeutung von Topoi E. R. Curtius, Europ. Lit. u. latein. Ma. (1948). 9) E. K. Rand, Studies in the Script of Tours, 2 Bde., 1929/34. 10) Th. Bitterauf, Freisinger Traditionen I, Nr. 31, S. 59 f. 35?
  • 5. 532 Friedrich Prinz in Rouen in der Grabkirche des hl. Audoen, in Metz im Grabkloster des hl. Arnulf, inW?rzburg im Anschlu? an die Vita Kiliani, wie Dienemann und Biglmair gezeigt haben11). Wenden wir uns nach diesen methodischen Vorbemerkungen ?ber Zweck und Wert hagiographischer Literatur unserem Thema im engeren Sinne zu und fragen wir, ob und in welcher Weise das Bild der merowingischen Adelsgesellschaft in den zeitgen?ssischen Viten auftaucht. Das ungew?hnliche Anwachsen der Vitenliteratur im Frankenreich w?hrend des 7. Jh.s (im Vergleich zu anderen L?ndern Europas) zeigt bereits, da? dieses f?r die abendl?ndische Entwicklung so entscheidende merowingische Jahrhundert in der Heiligen vita einen zeitgem??en geistigen Ausdruck fand12), w?h rend die Historiographie, die mit antiker Substanz gespeist bei Gre gor von Tours im 6. Jh. einen letzten Aufschwung erlebt hatte, im 7. Jh. in der sogenannten Fredegarchronik ausl?uft und einen quali tativen Tiefpunkt erlebt, einen Tiefpunkt, den man allerdings viel zu sehr f?r alle geistigen ?u?erungen in diesem Saeculum verall gemeinert hat13). Die Hagiographie jedoch erlebte einen unbezwei felbaren wir uns daher, ob und in welcher Aufschwung. Fragen Weise sich die Vitenliteratur des 7. und auch des 8. Jh.s von der vorausgegangenen Hagiographie unterscheidet. Bereits Katharina Weber war es aufgefallen, da? sich die altgallische Hagiographie des 6. Jh.s, besonders in den Vitae Patrum Gregors von Tours, in denen das Leben der Klausner und Eremiten Aquitaniens geschil dert wird, nicht genug tun konnte in der Schilderung der ?rmlich keit der Behausungen, der Primitivit?t der Kleider und Ger?te, der Welt- und Kulturverachtung. Dies ?nderte sich in den fr?nkisch merowingischen Heiligenleben des 7. und 8. Jh.s grundlegend. Die Heiligen erbauen jetzt gro?e Kl?ster mit prachtvollen Kirchen, f?r deren Unterhalt aus Adels- und K?nigsgut umfangreiche Grund herrschaften eingerichtet werden14). F?r diesen Wandel der hagio graphischen Umwelt mu? man in erster Linie die Tatsache verant wortlich machen, da? die merowingischen Heiligen fast durchwegs einer anderen Gesellschaftsschicht entstammen als die bei Gregor geschilderten Klausner und Eremiten ; sie sind Angeh?rige einer dem K?nigtum eng verbundenen Adelsschicht im K?nigsdienst, deren Lebensanschauung und Weltbild sich in den Viten der Zeit u) F. Prinz, Zur geistigen Kultur d. M?nchtums im sp?tantiken Gallien u. im Merowingerreich, in: ZBLG 26 (1963), S. 29?102, bes. S. 89ff. 12) E. Dekker-Ae. Gaar, Clavis Patrum Latinorum (1951). 13)Wattenbach-Levison, Geschichtsquellen I, S. 109ff. 14) K. Weber, Kulturgeschichtliche Probleme, S. 379.
  • 6. Heiligenkult und Adelsherrschaft 533 unverkennbar und inne niedergeschlagen hat15). Bildungsniveau ren Zusammenhang dieser einflu?reichen Adelsgruppe k?nnen wir auch au?erhalb der Hagiographie fassen und damit gl?cklicherweise die Aussagen der letzteren kontrollieren, etwa durch die erhaltene des B. Desiderius von Cahors, die u. a. Briefe Briefsammlung von von des B. Constantius von Audoens Rouen, Eligius' Noyon, u. a. enth?lt16). Albi, des Hausmeiers Grimoald, K?nig Sigiberts III. Diese Briefsammlung zeigt, wie k?rzlich P. Riche dargelegt hat, ein erstaunliches Ma? von antik-historischer Schulung der Briefsteller, womit die h?ufigen Angaben der Viten dieser M?nner, sie h?tten eine literarische Bildung genossen, nicht l?nger als ein Topos bei seite werden k?nnen17). geschoben Im Zusammenhang damit steht eine weitere Beobachtung, welche die Merowingerviten von der sp?tantiken Hagiographie unterscheidet. Es ist die Beobachtung, die der Prager Medi?vist Frantisek Graus, von ganz anderen Voraussetzungen ausgehend, andeutet, er sagt, da? die Einstellung wenn der merowingischen Hagiographen zur weltlichen Macht im Grunde genommen positiv sei, selbst wenn im einzelnen ein schlechter K?nig oder Adeliger vorkommen mag18). Diese Feststellung l??t sich nun im einzelnen und erweitern. Erstens durch den Nachweis, da? poli begr?nden tischen und famili?ren Beziehungen des adeligen Heiligen zum und zu an der vormerowingischen K?nig seinesgleichen, gemessen ein unverh?ltnism??ig breiter Platz einger?umt wird. Hagiographie, Dies geht sogar so weit, da? nicht nur der politische Werdegang des Heiligen geschildert wird, sondern auch der seiner Br?der, wie etwa in der Vita Desiderii19) oder in der Vita des Abtes Germanus von Fr?hes S. 489 ff. 15) F. Prinz, M?nchtum, III, S. 191?214, dazu F. Prinz, Fr?hes M?nchtum, S. 504f. 16) MG Epist. L'instruction des la?cs en Gaule m?rovingienne au VIIe si?cle, 17) P. Riche, in: Settimane di studio del centro italiano di studi sull'alto medioevo V S. 873?888, bes. S. 878f. u. 885, gegen H. Pirenne, De l'?tat (Spoleto 1958), de l'instruction des la?ques ? l'?poque m?rovingienne, in :Rev. B?n?d. XLVI (1934), S. 164?177. bei den Anf?ngen des Feudalismus u. die ,,Gefange 18) F. Graus, Die Gewalt der merowingischen Hagiographie, in: Jb. f.Wirtschaftsgesch. nenbefreiung" I (1961), S. 61?156, bes. S. 86. abbatis Grandivallensis SSRM V, S. 25?40, bes. c. 1, S. 33: 19) V. Germani sanctus Germanus abba et martyr, sacerdos Dei, natale solo Trevirorum Igitur civium urbis incola fuit, ex genere senatorum prosapie genitus, sed nobilior sanctitate. Pater eius Optardus ; fratres vero eius Opthomarus et Numerianus. sub Dagoberto rege quondam aulae regiae elegantiae et mun Opthomarus danae scientiae inbutus, sub rege Sigeberto, idemque quondam, fultus Deo, ceteris sublimior fuit. Die Ausf?hrlichkeit, mit der die politische proceribus
  • 7. 534 Friedrich Prinz Granfelden20), eine Tatsache, die wir vergeblich in der vormero wingischen Hagiographie suchen werden. Ferner f?llt gegen?ber der vormerowingischen Hagiographie auf, da? die politische Wirksamkeit eines Heiligen keineswegs mit seinem Eintritt in das geistliche Leben abbricht, sondern geistliche und weltliche Aufgaben, auch auf h?chster politischer Ebene, sind weiterhin eng miteinander verflochten und beide gleicherweise in der Vita lobend herausgestellt. Man nehme die Vita des letzten gesamtmerowingischen Politikers, des Bischofs Audoenus von Rouen21), oder die von demselben Audoen verfa?te Vita seines Freundes Eligius von Noyon, des Finanzministers Dagoberts I. Ebenso sehen wir die enge Verquickung politischer und religi?ser Wirksamkeit in der Vita Arnulfs von Metz oder gar in der Passio Leodegars von Autun, die die negative Seite der Verquickung merowingischer Kirchenf?rsten in die Politik drastisch zum Be wu?tsein bringt22). Hier mu? ein naheliegender Einwand zur Sprache gebracht Stellung der Familie berichtet wird, zeigt, da? in der Auffassung des Hagio graphen aus dem 7. Jh. die adelige Welt keinen Gegensatz zur Welt des Heiligen darstellt, sondern eher als die selbstverst?ndliche Grundlage gilt, die das Heilige und den Heiligen selbst hervorbringt. Jenes der Kennzeich nung der adeligen Herkunft des M?rtyrers Germanus angeh?ngte ,,fide nobilior" wirkt dagegen als ein blasser, angeh?ngter hagiographischer Topos. Da Germanus als Trierer vermutlich Romane war, gewinnt die Betonung des guten Verh?ltnisses der Familie zum K?nigshof noch eine andere Be deutung, war doch der K?nigsdienst ein direkter Weg f?r die romanische ehemalige Senatorenschicht Galliens, innerhalb der neuen, fr?nkischen Herrschaftspyramide wieder politisch aufzusteigen. (Vgl. auch etwa die Laufbahn des merowingischen Finanz ministers ? Verwiesen Parthenius.) sei ferner auf die ,,gesellschaftliche Selbsteinstufung" des Abtes Widerad von Flavigny: ? Du Pardessus II, Nr. 514, S. 323?327. H. L. Bordier, Recueil des chartes m?rovingiennes, Paris . . . ego Wideradus (1850), S. 23ff. abbas, filius viri inlustri Corbonis . . .Widerad errichtete das Kloster auf seiner res propria. 20) V. Desiderii SSRM IV, S. 547ff., bes. c. 2 ... A quo (= Dagobert I.) hi tres germani, id est Rusticus, Siagrius et Desiderius, florentissime enutriti, summis dignitatibus praediti sunt, Rusticus ut praefati sumus, abbatiam palatini oratorii, quod regalis frequentatur ambitio, et archidiaconatus officium gessit. Siagrius autem Massilia gubernacula et Albiensium cometa tum annis plurimis administra vit. Desiderius vero iunior tempore, sed non inferior dignitate, sub ?ndoles adhuc annis tesaurarius regis effectus, valde strenue se accinxit ... ; ?hnlich c. 4 u. c. 7 (Einr?cken der Br?der in hohe Staats?mter). 21) Vita Audoini SS rer. Merov. V, S. 536?567. 22) Passio Leudegarii I u. II, ebd. V, S. 249?362.
  • 8. Heiligenkult und Adelsherrschaft 535 werden, der Einwand n?mlich, da? schon in der Sp?tantike An geh?rige der h?chsten Gesellschaftsschichten Heilige geworden und damit in die Hagiographie eingegangen sind, etwa Ambrosius von Mailand, einst Inhaber der Praefectura Galliarum in Trier, oder Papst Gregor der Gro?e. Nat?rlich geh?rt es zu den auff?lligsten Fakten gerade der Sp?tantike, da? eine gro?e Zahl Angeh?riger der senatorischen Aristokratie wie der Oberschichten insgesamt aus den verschiedensten Gr?nden aus der hei?gelaufenen Maschinerie der stockenden, nachdiokletianischen Zentralverwaltung ausspringt, sich dem geistlichen Leben in der radikalen Form des M?nchtums ? zuwendet oder nach dem Zusammenbruch des zentralistischen ? im Bischofsamt ihrer Civitates r?mischen Verwaltungs?berbaus neue Wege ?ffentlicher Wirksamkeit findet23). Beide M?glich keiten kombinieren sich in der gro?en, s?dgallischen M?nchsschule von L?rins, wo M?nner der teilweise depossedierten, gallischen Aristokratie eine streng asketische Schulung erhielten und dann be deutende Bischofssitze in Gallien einnahmen24). Ein anderes Bei spiel ist f?r die? Donaulande der hl. Severin, der ? wie seine Vita erkennen l??t ebenfalls der politischen F?hrungsschicht Ita liens und, nach einer monastischen Schulung in entstammte25) orientalischen Kl?stern, in Noricum beim Zusammenbruch der staatlichen Verwaltung ein gro?es wie auch reli politisch-soziales gi?ses Hilfswerk Der entscheidende aufbaute. Unterschied zur merowingischen Hagiographie besteht jedoch gerade darin, da? Severin bzw. sein Biograph Eugippius die Frage der aristokratischen Herkunft bewu?t als iactantia utpote sinistra ausklammern und da mit einen Trennungsstrich zwischen ihrer fr?heren hohen Stellung in der Welt und ihrer Wirksamkeit als Asketen ziehen. Das gilt auch f?r die hagiographischen Berichte ?ber die gallischen Aristo kraten in L?rins, deren vornehme Herkunft entweder kurz erw?hnt 23) Hierzu die f?r die gallischen Verh?ltnisse grundlegende Prosopographie von K. F. Stroheker, Der senatorische Adel im sp?tantiken Gallien, T?bingen 1948. 24) F. Prinz, Fr?hes M?nchtum, S. 47 ff. Herkunft aus dem Brief des Eugippius an 23) Severins aristokratische folgt ? Paschasius, Vita Severini (ed. Th. Mommsen) I, 9, S. 4: ,,. . .quid prodest" ? sagt hier Severin zu einem Neugierigen, ihn nach seiner Herkunft der fragt ,,servo dei significatio loci vel generis sui, cum potius id tacendo facilius, evitare iactantiam ?" Diese Stelle ist nur dann sinnvoll, wenn Severi possit nus aus christlicher Demut seine vornehme Abkunft nicht preisgeben will. Ironisch f?gt Severinus hinzu, wenn der Frager glaube, er sei ein entlaufener Sklave, so solle er nur das L?segeld f?r ihn bereithalten. Auch die Charakte ristik des Heiligen durch Eugippius als ?homo omnino latinus" spricht f?r seine hohe soziale Herkunft.
  • 9. 536 Friedrich Prinz wird, wie bei Honoratus, Eucherius, Faustus, Caprasius, Lupus, oder ebenfalls als unwesentlich ausdr?cklich ausgeklammert wird, wie bei Hilarius von Aries26). Am ehesten n?hert sich noch die wertvolle Vita des Germanus von Auxerre dem merowingischen politisch-aristokratischen Vitentyp an, da in ihr relativ ausf?hr lich der weltliche Werdegang des Heiligen geschildert wird27). Wie kommt es aber, da? dem merowingischen Hagiographen die enge Verquickung der asketischen mit der politischen Wirksam keit seines adeligen Helden so stark ins Auge f?llt, da? er ihr einer weit ?ber die Vorbilder der bisherigen Legendenliteratur hinaus zu jenem Punkt, gehenden Platz einr?umt? Damit kommen wir von dem aus man die Einzelbeobachtungen ?ber die Art merowingi scher Heiligenleben sowohl typologisch ordnen wie auch erkl?ren kann, warum diese Hagiographie nicht nur materiell, d. h. durch die ?berlieferung von Einzelz?gen, ein Spiegel der fr?hmittelalter lichen Adelsgesellschaft, sondern auch funktionell, d. h. in ihrer Absicht, ein Spiegel, eine Selbstdarstellung dieses Adels ist. Schon institutionell, von Art und Ort ihrer Entstehung her, mu? die merowingische Hagiographie dem Adel eine gro?e und. positive Rolle in ihren Darstellungen einr?umen, denn die MehrJ zahl aller Viten entstand ja in Kl?stern, die dem K?nigtum und seinen f?hrenden Adelskreisen ihre Entstehung verdanken. Den Blick auf den Heiligen schlo? den Blick auf die adelige Gr?ndern sippe mit ein, der der Heilige dazu noch vielfach selbst entstammte und auf deren Heil das Heiligengrab von selbst zur?ckwirken mu?te. Die Frage, ob es die adeligen Familien der Merowingerzeilj n?tig hatten, durch eine Klostergr?ndung aus ihrem Besitz ihre eigene Position zu festigen, bringt uns an die Beantwortung der oben gestellten Frage, ob und in welcher Weise die Hagiographie dieser Epoche eine Spiegelung bzw. Selbstspiegelung ihres Adels sei. Durch den ?bertritt zum Christentum verlor der germanische! Adel zwangsl?ufig ein Gutteil seines zuvor in der heidnischen Reli^ gion begr?ndeten charismatischen F?hrungsanspruches, der sich bedient sich des Kunstmittels, verbis auf die 26) Der Biograph expressis Heimat und Eltern lobend zu erw?hnen, zu verzichten, denn Gepflogenheit, so habe es Hilarius selbst in seiner Lobrede auf Honoratus getan. Er wolle aus der F?lle der Tugenden seines Heiligen einige (n?mlich die weltlichen!) auslassen, ,,ut vitae ipsius pretiosissimum moni le, non humanis gemmis ornatum, sed supernis virtutibus splendidum, sine artificis manu, pretiositate propria commendetur". Vita Hilarii c. 2 (ed. S. Cavallin, Lund 1952), S. 81 f. 27) Vita Germani episc. Autissiodorensis, SS rer. Merov. VII, S. 225?283, bes. c. 1, S. 251; vgl. W. Levison NA. XXIX, 1903, S. 97?175; E. Griffe, La Gaule chr?tienne II, S. 231 ff.
  • 10. Heiligenkult und Adelsherrschaft 537 aus der Abstammung einer Adelssippe von einem g?ttlichen Spit ^enahn herleitete28). Die kultisch-geistige wie auch politische Vor des Adels war mit der Bekehrung grunds?tzlich er rangstellung sch?ttert. (In Parenthese sei hier die Frage eingef?gt, ob nicht diese grundst?rzende Ersch?tterung der Stellung des Adels durch den Verlust seiner heidnisch-sakralen Sanktionierung auch einer der Gr?nde war, die es r?cksichtslosen Machtmenschen wie Chlod wig erm?glichte, sich relativ leicht seiner uradeligen Herrschafts konkurrenten innerhalb des Frankenbundes zu und da entledigen mit zur Alleinherrschaft zu gelangen ?)Wie dem auch sei, die mero wingische Hagiographie vermittelt uns Einblick in drei typische Reaktionsweisen, durch die der fr?nkische Adel seiner charisma tischen Entwurzelung durch das Christentum sch?pferisch zu be gegnen suchte: ? 1. Die merowingische Hagiographie setzt neben die alten, aus dem Orient oder aus dem sp?tantiken Gallien tradierten Heiligen Jo?te neue, ?zeitgen?ssische" Heilige aus den Reihen der sich im J7.Jh. bildenden, reichsfr?nkischen Oberschicht. Angeregt wurde (diese Entwicklung durch den au?ergew?hnlichen Widerhall, den Columban und sein Kloster Luxeuil unter dem fr?nkischen Hof adel unter Chlothar II., Dagobert I. und Chlodwig II. gefunden hatte29). So entstanden Viten wie die Audoens von Rouen, Eligius' yon Noyon, Wandregisels von Fontanella, Filiberts von Jumi?ges, Arnulfs von Metz, Gertruds von Nivelles, von Autun, Leodegars Desiderius' von Cahors. Luxeuil und P?ronne w?ren genauso 'ephemer in ihrer Wirkung geblieben wie viele andere Irenkl?ster auf dem Kontinent, wenn sie nicht die lebenswichtige Verbindung zum merowingischen K?nigtum und zum Kreis merowingischer H. Dannenbauer, u. Herrschaft ?8) Zum Problem: Adel, Burg bei d. Ger manen, in: H Jb. 61 (1941), Neudruck in: Wege d. Forschung II, Herrschaft u. Staat im MA., 1956, S. 60?134, bes. S. 74; K. Hauck, Haus- u. sippen gebundene Lit. ma. Adelsgeschlechter, in: MI?G 62 (1954), S. 121?145, Neudruck in: Geschichtsdenken und Geschichtsbild im MA. (Wege d. For schung, Bd. XXI), Darmstadt 1961, S. 165?199, bes. S. 183ff.; vgl. auch ders., Carmina antiqua, Abstammungsglaube u. Stammesbewu?tsein, in: ZBLG 27 (1964), S. 1?33 (= Festschrift K. A. v. M?ller). 29) Vitae Columbani I, c. 10 SS rer. Merov. IV, S. 76: ?... Ibi (= in Luxeuil) nobilium liberi undique concurrere nitebantur, ut exspreta faleramenta sae culi et praesentium pompam facultatem temnentes aeterna praemia cape rent." Einen ?hnlichen Geist versp?rt man in der Inschrift des Grabsteins eines ,,vir venerabiles Ludubertus de nobile genere", der im 7./8. Jh. sein Gut der Trierer Domkirche schenkt und selbst Geistlicher wurde. Karl der Gro?e, Werk und Wirkung, Aachen 1965 (10. Ausstellung des Europarates), Kata log Nr. 234, S. 139, Grabstein aus St. Matthias, Trier.
  • 11. 538 Friedrich Prinz Adeliger und Reichsbisch?fe gefunden h?tten, die wir in der schohk palatii Chlothars II. und Dagoberts I. vereinigt finden und in dem Freundeskreis fassen k?nnen, der uns in der erw?hnten Briefsamm^ lung des Bischofs Desiderius von Cahors begegnet30). F?r die Wir kung von Luxeuil unter der fr?nkischen Oberschicht mu? aber auch in Rechnung gestellt werden, da? sich der religi?s entwurzelt 5 ? das Christentum keine un Merowingeradel gibt bekanntlich mittelbare, ideelle St?tze zur Sanktionierung einer Adelsherrschaft ? durch das Heraustreten und die hagiographische Ausformung neuer Heiliger aus seinen eigenen Reihen, gewisserma?en auf einem Umweg, n?mlich ?ber heiligm??ige Familienangeh?rige, eine neue religi?se Selbstrechtfertigung und eine neue, diesmal christliche Verankerung seiner F?hrungsposition erringt. Es versteht sich von ' selbst, da? dies kein ideologisch ,,gezielter' Proze? war, sondern ein unbewu?ter und deshalb um so wirksamerer Akt geistiger Selbst etablierung, womit sich bedeutende Adelsfamilien des Merowinger reiches, wie die Burgundofaronen, die Waldebertsippe, die Arnul finger und die Pippiniden geistig innerhalb des neuen christlichen Weltbildes verankerten und mit den Heiligen aus ihren Reihen neue Garanten f?r das geheiligte Vorrecht ihrer seit jeher bestehen den Herrschaft schufen. Der seit dem 7. Jh. vollzogenen, christ lichen Begr?ndung der Adelsherrschaft folgt die ?bertragung dels Herrschaftsdenkens in die transzendente Sph?re, d.h. ein typischer geistiger Inhalt des Adelsdenkens formt christliche Grundvorstel lungen um und ver?ndert die hagiographischen Schemata im ade ligen Sinne31). An diesem Punkte w?re grunds?tzlich die Frage zu stellen, ob nicht die Christianisierung des 7./8. und wohl auch des 9. Jh.s im wesentlichen eine ausgesprochene Oberschichtenreligion gewesen sei und die ?Tiefenchristianisierung'' mit ihrer Massenwirkungj, zumindest n?rdlich der Alpen, erst mit den kirchlichen Reformj bestrebungen einsetzte, die dem Investiturstreit vorausgingen. Zu dieser Auffassung w?rde sehr gut passen, da? Hugeburg, die Nonne von Heidenheim, in der Vita ihres Verwandten Willibald von Eichr statt denselben als pius procerum pontifex bezeichnet32), als einen frommen Bischof der proceres, d. h. der das Land beherrschenden Grundherren und Adeligen ;womit die Herrschaft des Adels in der und ?ber die Kirche einen sehr pr?gnanten Ausdruck gefunden hat. 30) Siehe oben, Anm. 16. 31) F. Graus, Herrscher und Heilige, 364 f. betont mit Recht, da? die mero wingische Hagiographie im Gegensatz zu den voraufgegangenen Mustern den Adelsheiligen herausstellt. 82) Vita Willibaldi prol. MGSS XV, S. 86.
  • 12. Heiligenkult und Adelsherrschaft 539 Betrachtet man unter diesen Aspekten die rnerowingischen I leiligenleben des entscheidenden 7. Jh.s, dann ist unsere oben er v f?hnte Beobachtung kein Zufall, da? diese Viten ? im Gegensatz ? zur vormerowingischen Hagiographie der weltlichen Wirksam keit und den famili?ren Verbindungen ihrer adeligen Heiligen ein relativ gro?es Gewicht beilegen, das aus den ?berkommenen Topoi c.er Hagiographie nicht abzuleiten ist und noch weniger aus der III. Schrift. Der merowingische, adelige Heilige ist eben immer noch Mitglied und Repr?sentant seiner Familie und seiner Gesellschafts schicht, seine Heiligkeit strahlt notwendigerweise auf seine Familie und auf deren politisches Prestige zur?ck, mit ihm gewinnt die Familie und der Adel als Herrschaftsform jene kultisch-religi?se Sanktionierung zur?ck, die er innerhalb des Gef?ges der heidni schen Religion besessen hatte und die mit dem ?bertritt zum Christentum grunds?tzlich bedroht war. Damit erweist sich aber die enge Verkn?pfung des rnerowingischen Heiligen mit seiner Familie, mit dem K?nigtum und den ? positiv gew?rdigten ? Formen der Adelsherrschaft als ein neues, n?mlich germanisches Element in der Hagiographie33). Es ist in diesem Falle nicht nur formal ein germanisches Element, sondern auch funktional, n?m ' lich im Sinne des Toynbeeschen Begriffspaars von ?challenge' und ,,response" eine sch?pferische Antwort des Adels auf die grund s?tzliche Herausforderung und Bedrohung, die das Christentum f?r die kultisch-religi?se Begr?ndung der Adelsherrschaft heid nischer Herkunft bedeuten mu?te. Der Heilige aus den Reihen des ? neuen rnerowingischen Reichsadels ganz ob er sich eth gleich, nisch aus fr?nkischem Stammes- und Dienstadel oder aus dem in der Reichsverwraltung arrivierenden, gallor?mischen Adel senato rischer Herkunft rekrutierte ? dieser Heilige gab der neuen F?h rungsschicht, weil sie seine eigene gesellschaftliche Heimat war, ein sowohl kultisch-religi?ses wie auch gleichzeitig politisch-herrschaft liches Prestige. Hier fassen wir die Wurzel dessen, was Friedrich Heer die ?politische Religiosit?t" des Mittelalters genannt hat ;es ist eine wesentliche Komponente des Mittelalters ?berhaupt gewor den.. Konkret gesprochen : es war f?r den beispielsweise politischen Aufstieg der Karolinger sicher nicht bedeutungslos, da? diese m?ch tige Gro?familie schon zwei Heilige ? Arnulf und Gertrud ? in ihren Reihen z?hlte, deren Kult bereits Anfang des 8. Jh.s zumin dest offizi?s war, d.h., er war ?ber den engeren Bereich karolingi scher Sippenkl?ster l?ngst hinausgedrungen und hatte gesamt ? ? *3) K. Bosl, Die germanische Kontinuit?t im deutschen MA. (Adel K?nig Kirche), in: K. B., Fr?hformen der Gesellschaft im ma. Europa, M?nchen Wien 1964, S. 80?105, bes. S. 88 ff.
  • 13. 540 Friedrich Prinz fr?nkische Geltung erlangt, wie sich an den merowingisch-fr?ri karolingischen Viten Arnulfs von Metz, Gertruds von Nivelles34]), an Psalterien und Kaiendarien nachweisen l??t35). Damit hattfe diese Familie eine kultisch-religi?se Legitimation erlangt, die sehr wohl dem merowingischen K?nigsheil entgegengesetzt werdefa konnte und die gleichzeitig die religi?se Grundlage f?r die p?pst liche Hilfe abgab. Umgekehrt begreift man, welch schwere, mittel bare Bedrohung Arbeos von Freising Viten des hl. Emmeram und Corbinian f?r die agilulfingische Herrschaft bedeuten mu?ten, da die ausf?hrliche Beschreibung des ?blen Schicksals, das zwii agilulfingische Herz?ge jeweils diesen Heiligen bereiteten, ein un verkennbarer Affront gegen die politische Herrschaft der Agilul finger und zugleich ein Angriff auf die religi?se Sanktionierung d?r Agilulfingerherrschaft ?berhaupt war36). ! Typologisch ist schlie?lich noch bemerkenswert, da? die durchwegs positive Wertung der adeligen Herkunft und der welt lichen Wirksamkeit eines merowingischen Heiligen der erste Schritt und eine wesentliche Vorbereitung einer religi?s durchformten ?adeligen Standesethik" von Seiten der Kirche war, einer Standes ethik, die dann, wie Heinz L?we an Regino von Pr?m gezeigt hat, Schritt f?r Schritt weiterentwickelt wurde37). Ohne den Adels heiligen der Merowingerzeit ist die Ethisierung des Adeligen im Hochmittelalter undenkbar. Der staufische Ritter, f?r den gotes hulde, ?r und varnde guot vereinbare sittliche und gesellschaftliche Werte sind, ist undenkbar ohne die in der Merowingerzeit voll zogene christliche Sanktionierung des Adels durch die Heiligen aus ? seinen Reihen. Wir haben als erste der drei typischen Reaktionsweisen, durch 34) Vita Arnulfi SS rer. Merov. II, S. 426?446; Vita Geretrudis, ebd., S. 447 bis 474, nebst dem um 655 verfa?ten Additamentum Uivialense zur Vita Fursei, SS rer. Merov. IV, S. 449?451. Die politische Wirksamkeit Arnulfs tritt in seiner Vita durchaus nicht so stark hinter dem rein h agiographischen Aspekt zur?ck, wie W. Levison meinte (Wattenbach-Levison, Geschichts quellen I, S. 126. 35) Eine vor 800 in einem angels?chsisch beeinflu?ten Kloster zwischen Maas und Rhein entstandenes Psalterium bezeugt den Kult Arnulfs und Gertruds und bringt Gebete f?r Karl den Gro?en und seine Kinder, f?r das fr?nkische Heer und Papst Leo III. = Paris, Bibl. nat. lat. 131159 = CLA V, Nr. 652 foL 1645?165v; vgl. F. Prinz, Zur geistigen Kultur, S. 89f. 36) F. Prinz, Zur geistigen Kultur, 86 ff. ;ders., Die Herrschaftsstruktur Bayerns und Alemanniens im 8. Jh., Bll. f. dt. Landesgesch. 102 (1966) S. 11?27. 37) H. L?we, Regino von Pr?m und das historische Weltbild der Karolinger zeit, in: Rh. Vjbll. 17 (1952), S. 151?179, Neudruck, in: Geschichtsdenke? und Geschichtsbild im MA., h. c. S. 91?134, bes. S. 100ff.
  • 14. Heiligenkult und Adelsherrschaft 541 _j die der fr?nkische Adel seiner kultischen Entwurzelung durch das Christentum sch?pferisch in der Hagiographie begegnete, die M?g lichkeit behandelt, den Heiligen aus den eigenen Reihen als Typus und Gegenstand kultischer Verehrung zu entwickeln. Es liegt auf Hand, da? diese M?glichkeit nicht immer gegeben war, denn : djer ? viele pers?nliche M?ngel auch gerade den rnerowingischen Heili n anhaften m?gen, ein gewisses, unerl??liches Ma? menschlicher *??e und religi?ser Ergriffenheit mu?te in jedem Fall vorhanden sein, um daraus hagiographisch einen adeligen Heiligen entwickeln zu k?nnen. Wo diese fehlte, mu?te ein zweiter Grundvoraussetzung Weg beschriften werden, um eine neue, christliche Sanktionierung des zu erreichen. adeligen F?hrungsanspruches Dieser Weg bestand darin, da? der Adel seine Eigenkl?ster, die von ihm selbst geleitet wurden, mit wirkkr?ftigen Reliquien aus stattete und auf diese Weise seine vielfach erst zu diesem Zweck Kl?ster zu Kultzentren^ gegr?ndeten find St?tten des allgemeinen Heils machte, eines Heils, das verm?ge seiner Wirkung im Volke S3wie der Propagierung durch Tra?slationsbericht und Heiligen vita wiederum st?rkend und best?tigend auf das politische An sehen der Sippe der Kl?sterstifter und -herr?n zur?ckstrahlte. Es 1 .?ndert sich dabei ebenfalls um einen Akt der Selbstheiligung der adeligen Gr?nderfamilien. Von diesem Aspekt her versteht man r un auch besser die weitreichende Bedeutung der Wunderberichte von Heiligengr?bern, die nicht nur einer leichthin postulierten ' Wundersucht ,; des Mittelalters* entspringen, sondern zugleich mit c em Ruhm des Heiligen den der Stifter verk?nden, wodurch der I leilige erst im eigentlichen Sirpe ?Hausheiliger" einer Familie und S ippe und sein Patrozinium zugleich ein herrschaftlich-politisches Faktum wird. Vielleicht fassen wir hier eine der tiefsten Wurzeln und Impulse f?r die Flut adeliger Klostergr?ndungen des 7. und RJh.s: n?mlich das aus einem gef?hlten inneren Mangel ? als I rolge des heidnisch-religi?sen Autorit?tsschwundes ? entstandene 1 sidenschaftliche Bestreben des nach innerer Konsolidierung suchen den fr?nkischen Reichsadels, sein altes, durch die Konversion er sch?ttertes heidnisches F?hrungscharisma durch eine kultisch 4 ;hristliche Neubegr?ndung seiner Stellung zu befestigen, bzw., ^venn es sich um Dienstadel der Mero im Sinne A. winger Bergen i^ruens handelt38), ?berhaupt erst dieses F?hrungscharisma zu A. Bergengruen, Adel und Grundherrschaft im Merowingerreich. Sied ap und standesgeschichtliche Studie zu den Anf?ngen des fr?nkischen lpings- ^.dels in Nordfrankreich und Belgien (1958) ; vgl. aber dagegen K. F. Werner, Bedeutende Adelsfamilien im Reiche Karls d. Gr., in: H. Beumann (Hrsg.), JCarl d. Gr., Lebenswerk u. Nachleben (1965), S. 83?142, der mit guten
  • 15. 542 Friedrich Prinz schaffen. Dies war, wie oben gezeigt, durch die neuen Heiligen aus den eigenen Reihen m?glich, ebenso durch Reliquientranslatione|n in die adeligen Eigenkl?ster und schlie?lich auch durch die zahl reichen Klostereintritte fr?nkischer potentes und nobiles in die irofr?nkischen Monasteria vom Luxeuiltyp, wie sie uns seit Jona|s von Bobbio immer wieder bezeugt sind. In diesem Sinne einer kultisch-religi?sen Neu Verankerung des Adels sind auch beispielsweise die r?mischen und reichsfr?nki sehen Reliquien?bertragungen des westbayerischen Adels neben ihrem religi?sen Zweck zugleich als Mittel zur Festigung seiner Herrschaft zu verstehen, und seine Benediktbeuerrt, Eigenkl?ster Kochel, Scharnitz-Schlehdorf, Tegernsee, Schliersee, Ilmm?nster und Schaftlarn damit in einem viel umfassenderen Sinne, als bishe r angenommen, ?politisch-herrschaftliche St?tzpunkte". Dieser, sich um die Huosi gruppierende, westbayerische Adel sanktionierte da , ? was mit seine eigene, herrschaftlich-religi?se Position und als Besonderheit der politischen Verh?ltnisse Westbayerns noch hin zukommt ? gleichzeitig seine relative Eigenst?ndigkeit gegen?be r den Agilulfingern, in deren Kl?stern ganz andere Heilige verehrt wurden39). Die dritte M?glichkeit des Adels, den Schwund kultisch-herr schaftlicher Autorit?t, der mit dem ?bergang zum Christentur n eintreten mu?te, wieder wettzumachen, bestand in der gro?z?gige; i F?rderung alter Kultzentren durch die neue fr?nkische F?hrung? - Schicht, eine M?glichkeit, deren sich verm?ge ihrer reichen fiskali - sehen Mittel vor allem die Merowinger selbst bedienten, etwa im Fall e von St. Martin in Tours, St. Germain in Auxerre, in St. Denis un< I anderswo40). Beh?lt man diese innere Notwendigkeit im Auge, die - das merowingische K?nigtum wie seinen Adel zwang, seine Herr schaft nach der Konversion zum Christentum kultisch neu zu legi - so man - timieren, gewinnt auch ein besseres Verst?ndnis des Aache ner Leistungsverzeichnisses der Reichskl?ster von 815, wonach di e dritte, darin erw?hnte Gruppe von Kl?stern Gebete als servitia f? r den Herrscher zu leisten hatte41). Diese Gebete, die uns schon au^ der Zeit Karls des Gro?en ?berliefert sind und, wie z. B. der Code: c Parisinus lat. 13 159 zeigt42), dem K?nig, seinen Nachkommei^ Gr?nden das Weiterleben fr?nkischen Uradels neben und nach den Mero_ wingern erweist. 39) F. Prinz, Die Herrschaftsstruktur Bayerns und Alemanniens im 8. Jh., a.a.O. S. 17ff. *?) F, Prinz, Fr?hes M?nchtum, S. 152 ff. 41) MG. Capitul. I, S. 350 f. j *2) Siehe oben, Anm. 35.
  • 16. Heiligenkult und Adelsherrschaft 543 und dem fr?nkischen Heer Leben, Sieg und Gesundheit erflehen, sind Teil jener neuen, nun christlichen Heiligung von K?nig und Adel, der wir in ihren drei Hauptformen nachgegangen sind. Wenn es stimmt, da? die merowingische Hagiographie in ganz spezifischer Weise die religi?se Verankerung der fr?hmittelalter lichen Adelsgesellschaft innerhalb einer sich langsam verchrist lichenden Welt widerspiegelt, dann mu? auch das Bild des rnero wingischen Heiligen in besonders pr?gnanter Form Z?ge adeliger Lebensweise in sich aufgenommen haben. Wie anfangs erw?hnt, hat bereits Katharina Weber auf diese Z?ge eindringlich hinge wiesen. F?r die Viten aus der Feder des westbayerischen Aristo kraten Arbeo hat dies in ?berzeugender Weise Heinz L?we getan, wobei es wegen des relativ geringen Zeitabstandes zwischen den Heiligen Corbinian und Emmeram und ihrem Biographen letztlich unwesentlich ist, ob diese adeligen Charakteristika mehr auf das Konto Arbeos oder Corbinians und Emmerams zu setzen sind43). Corbinians kennerhafte Vorliebe f?r Pferde, seine Freude an Schmuck und Prunk ? man denke hierbei an den Schmuckreich tum gerade der westbayerischen Adelsgr?ber, den Frauke Stein zusammenfassend dargestellt hat44) ?, die unbek?mmerte Art des Anordnens und Herrschens ?ber seine Hausgenossen, das in Arbeos Darstellung durchschimmernde Vergn?gen an k?rperlicher Leistung und Wohlgeratenheit, die wohl zu unterscheiden ist von den tibernat?rlichen Wunderkr?ften eines Heiligen, schlie?lich die l Fngeniertheit, mit der der Heilige widersetzliche Personen schlicht v erpr?geln l??t oder eigenh?ndig z?chtigt45) :dies alles sind Z?ge, die aus dem traditionellen Arsenal hagiographischer Topoi des C Orients allzu deutlich herausfallen, als da? man sie ?bersehen d?rfte. All diese Einzelmomente finden sich auch in der reichs fr?nkischen Hagiographie zwischen Rhein und Loire, nur da? d ort, entsprechend der N?he des Adels zum K?nigshof und seiner ma?gebenden Stellung an demselben, die politische Bedeutung d es einzelnen Adelsheiligen noch st?rker in den Vordergrund * S. Ill ff. F?r den Frauentyp der Hagiographie l) H.L?we, Arbeo, vgl. ? [aria St?ckle, Studien ?ber Ideale in Frauenviten des VII.?X. Jh.s, Phil. I >iss. M?nchen 1957, bes. S. 20ff. u. S. 24ff., wichtig daselbst die Feststellung, d a? vom 7. bis zum 11. Jh., also bis zum Investiturstreit, die M?glichkeit der i< lealen sanctitas ohne nobilitas ausgeschlossen bleibt. Darin kommt die 'eraristokratisierung des Heiligentyps oder die Heiligung des Adels deutlich z um Ausdruck. 4 *) Frauke Stein, Adelsgr?ber des 8. Jh.s im rechtsrheinischen Deutschland, I ?h?. Diss. (Masch.-Schrift), M?nchen 1961. * S. 111 ff. *) H. L?we, Arbeo,
  • 17. 544 Friedrich Prinz ger?ckt wird als bei Arbeo. So weist die Vita Audoini auf die gro?e Rolle des Heiligen bei den letzten K?lner Ausgleichsverhandlungen zwischen Austrasien und Neustrien im Jahre 680 hin46), die Passio Leodegars von Autun berichtet detailliert die politische Partei nahme des Bischofs im jeweiligen Kampf f?r oder gegen den neustrischen Hausmeier Ebroin47), w?hrend die Vita Arnulfs von Metz deutlich dessen Rolle erkennen l??t, die er bei der G?ngelung des austrasischen Unterk?nigtums durch den austrasischen Adel aufgrund des Edictum Chlothari von 614 spielte48). Die Vita Filiberts von uns, wenn auch in vorsichtig ver Jumi?ges zeigt h?llender Form, Audoen als Parteig?nger des Hausmeiers Ebroin, in welcher Eigenschaft er mit Filibert in Konflikt geriet49). Die Reihe der Einzelbeobachtungen lie?e sich nach Belieben fortsetzen und etwa mit Karl Haucks Gesichtspunkt noch weiter durch forschen, inwiefern beispielsweise auch in der Hagiographie de? von einer Literatur zu w?re. 7./8. Jh.s sippengebundenen sprechen Man denke etwa daran, da? Jonas von Bobbio bereits die Kloster gr?ndungsgeschichten der Burgundofaronensippe in der Ile de in der - France und Normandie innerhalb des famili?ren Zusammen hanges behandelt. Da? sippengebundene Elemente auch in de? Hagiographie enthalten sind, erhellt ferner aus den Virtutes s. Geretrudis, denen zufolge die hl. Gertrud ihrer Verwandten, der ?btissin Modesta des Trierer Klosters Oeren, an ihrem Sterbetag erschien. Hierher geh?rt schlie?lich auch die Tatsache ? um ein bereits erw?hntes Beispiel zu nehmen ?, da? die Nonne Hugebur^ * von Heidenheim die Viten ihrer Verwandten Willibald und Wuni - bald schrieb und da? schlie?lich die Metzer Bistumsgeschichte de: 3 Paulus Diaconus bewu?t als karolingische Familiengeschichte konzipiert wurde50). 46) Vita Audoini c. 2, 3 u. 16 SS rer. Merov. V, S. 536ff. ? E. Vacandard, Vi< ? de saint de Rouen 641?684 S. 263 ff. u. 296 . Ouen, ?v?que (Paris 1902), bes. 47) Passio ep. Augustodun. I u. II, SS rer. Merov. . V, S. 249?362 Leudegarii 48) Vita Arnulfi ep. Mett., SS rer. Merov. II, S. 426?446, bes. c. 1, 3?7, ; 11 16, 17. 49) Vita Filiberti, SS rer. Merov. V, S. 568?606. 50) Virtutes s. Gertrudis c. 2, SS rer. Merov. V, S. 465; s. oben, Anm. 32fl Hugeburg; Paulus Diaconus, Gesta episcoporum Mettensium MG SS III S. 260?270; dazu K. Hauck, in: Liber Floridus = Festi Gebl?tsheiligkeit, schrift Paul Lehmann, St. Ottilien 1950, S. 187?240, bes. S. 193.